0545 - Der teuflische Engel
sie sich schon eine erlauben. Vom Yard Building aus war sie noch zu Hause vorbeigefahren und hatte die Goldmünze aus dem Zimmer geholt. Ihre Mutter hatte sich darüber gewundert, aber nicht entdeckt, was ihre Tochter einsteckte. Überhaupt wußte Mrs. Lakeman nichts von den Vorfällen. Sie hätte Wendy nur ausgelacht.
Die Münze steckte in der Tasche ihrer weit geschnittenen hellen Sommerjeans. Darüber hatte sie den grünen Kittel gestreift, auf dessen Rücken ein Strauß Blumen wuchs. Die Berufskleidung. Wendy fand sie zwar kitschig, doch die Chefin wollte es so.
Sie holte die Münze hervor und betrachtete sie noch einmal genau von allen Seiten.
Schon am gestrigen Abend hatte sich Wendy die Münze angeschaut und nicht mehr entdecken können als auch zu dieser Zeit.
Auf der einen Seite war sie glatt wie frisch poliert. Auf der anderen zeigte sie Abbildungen, die Wendy nicht genau erkennen konnte. Es mochten Gesichter sein. Festlegen wollte sie sich nicht.
Das Telefon läutete. Da es in Griffweite neben der Kasse stand, brauchte Wendy sich nicht zu erheben. »Flower Shop…«
Der Anrufer ließ sie nicht ausreden. Seine singende Stimme jagte der Verkäuferin einen Schauer über den Rücken. Mein Gott, das war er. Das war der Mann, der die Rosen bestellt und mit der Goldmünze bezahlt hatte. Der schöne Jüngling.
Plötzlich saß ihre Kehle zu. Wieder sah sie das Bild des Mannes vor ihren Augen. Dann vernahm sie seine Frage. »Na, hast du die Blumen abgegeben, Wendy?«
Er kannte sogar ihren Namen. »Ja, natürlich. Ich… ich habe sie persönlich zu dem Mann gebracht.«
»Oh – was sagte er?«
»Nichts. Er war sehr überrascht.«
»Das kann ich nicht glauben. Hat er nicht gefragt, wer ihm die Blumen schickte?«
»Doch«, erwiderte Wendy spontan und hatte das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben.
»Was hast du ihm denn gesagt?«
»Die Wahrheit, Mister. Ich konnte nicht lügen, ich mußte ihm einfach die Wahrheit sagen.«
»Wie reagierte er?«
»Er war erstaunt, die andere auch. Er… er kannte Sie nicht, Mister. Ich habe Sie beschrieben.«
»Ach so.«
Wendys Zunge fuhr über die Lippen. »Sagen Sie, ist das ein Fehler von mir gewesen?«
»Nein, Kindchen, nein. Es ist alles in Ordnung. Ich wollte nur wissen, ob du meinen Auftrag erfüllt hast.«
»Das war doch selbstverständlich. Und die drei Schläger haben sich auch nicht mehr blicken lassen.«
»Kann ich mir vorstellen…«
Wendy Lakeman wollte noch etwas fragen, da hatte der Schönling bereits aufgelegt.
Wendy drückte den Hörer zurück. Sie wischte über ihre schweißfeucht gewordene Stirn und fragte sich dabei, was der Anruf zu bedeuten hatte. Wollte sich der Unbekannte tatsächlich nur vergewissern, ob alles okay war?
So recht wollte sie daran nicht glauben, und sie überlegte auch, ob sie Mr. Sinclair nicht zurückrufen und ihm von dem Anruf berichten sollte.
Es kam alles anders. Sie hörte die Klingel an der Tür, schaute hin und erschrak. Einer der drei Schläger hatte das Geschäft betreten. Es war der Anführer. Auch heute trug er die Mütze mit dem roten Schirm. Sein Blick verhieß nichts Gutes, aber er sah auch nicht so aus, als wollte er hier Terror machen.
Wendy drückte die Zigarette aus und erhob sich. Nur der Steintresen trennte die beiden noch.
Der Schläger trug seine Lederjacke. Sie war nur lose zugeknöpft.
Dort, wo die Totenköpfe gehangen hatten, befanden sich Löcher im Material. Die beiden schauten sich an.
»Was wollen Sie?« fragte Wendy.
»Mit dir reden, Süße.«
»Ich wüßte nicht, was…«
»Jetzt mach hier keinen Terror, Süße! Es geht um den Kerl von gestern abend.«
»Na und?«
»Er hat uns eine Lektion erteilt, klar. Aber schau dir das mal an.«
Mit einem Ruck riß der Schläger die beiden Hälften seiner Lederjacke zur Seite. Er präsentierte Wendy seinen nackten Oberkörper. Die Augen der jungen Frau weiteten sich.
Drei Totenköpfe hatten am gestrigen Abend vor der Lederjacke gehangen. Sie waren unter den Fingern des Schönlings verbrannt.
Aber nicht nur sie. Auch in der Haut des Schlägers zeigten sich drei tiefe Wunden. Genau dort, wo die Totenköpfe gebaumelt hatten.
»Siehst du?« flüsterte der Mützenmann. »Siehst du diese drei verdammten Flecken?«
»Ja, die sehe ich.«
»Und jetzt paß mal auf, Süße.« Der Schläger hob eine Hand und zeigte auf eines der drei Wundlöcher.
Der Finger stieß vor und verschwand so tief in der Wunde, daß er nicht mehr zu sehen
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