0548 - Feuerdrache
beiläufig mit einer schnellen Kopfbewegung, einem blitzartigen Zuschnappen des zahnbewehrten Mauls. Dann jagte er durch die Luft davon, so schnell, daß Zamorra keine Chance hatte, ihm auch nur ansatzweise zu folgen.
Der Parapsychologe brach die Zeitschau ab und kehrte mit einem weiteren Schaltwort wieder aus der Halbtrance in die Wirklichkeit zurück.
Fassungslos sah ihn François Brunot an…
***
Fassungslos sah William das kleine Monstrum an. Narrte ihn ein Spuk, oder hatte es gerade wirklich zu ihm gesprochen?
»Nun lauf doch nicht gleich weg! Ich wollte mich doch nur dafür entschuldigen , daß ich dich so erschreckt habe …«
Das gab’s doch gar nicht! Ein Ungeheuer, eine Schreckgestalt, entschuldigte sich dafür, jemanden erschreckt zu haben?
Das träumte er doch nur!
Aber die geflügelte Bestie mit dem riesigen Maul verfolgte ihn nicht! Sie war einfach beim Auto stehengeblieben und sah unverwandt zu ihm herüber.
Der Schotte fragte sich, was er jetzt tun sollte. Das seltsame Verhalten des Ungeheuers mußte eine Falle sein! Sie versuchte ihn leichtsinnig werden zu lassen, und wenn er sich dann vertrauensselig auf die Bestie einließ, würde die ihn umbringen und auffressen! Dumpf erinnerte er sich, vor einiger Zeit einmal in einer Romanserie, deren Handlung in der Vergangenheit der Erde angesiedelt war, von einer Saurier-Art gelesen zu haben, die in der Lage war, menschliche Stimmen zu imitieren und mit vermeintlichen Hilferufen Menschen anzulocken, um dann über sie herzufallen und sie zu zerfleischen.
Er wünschte sich Zamorra an seine Seite. Der hätte ihm sicher sagen können, ob von dem Ungeheuer eine Gefahr ausging oder nicht.
»Nun komm schon«, lockte der Mini-Saurier. »Stell dich nicht an wie der erste Mensch. Wetten, daß ich mehr Angst vor dir habe als du vor mir? Was ist das hier für ein seltsames Ding, aus dem du geflüchtet bist? Es stinkt fürchterlich!«
William antwortete nicht. Er blieb mißtrauisch.
Schließlich zuckte das Biest mit einer absolut menschlich wirkenden Geste mit den Schultern. »Na schön, wenn ich nicht gut genug für dich bin, dann gehe ich eben wieder. Schade, ich hätte gern ein wenig mit dir geplaudert und gespielt. Dann eben nicht.«
Das Ungeheuer wandte sich ab und setzte seinen ursprünglichen Weg fort, diesmal aber nicht rennend, sondern in gemächlichem Watschelgang.
Warum fliegt es nicht? fragte sich der Butler. Und warum ist es vorhin nicht geflogen, statt quer über das Gelände und über die Straße zu laufen wie ein überkandidelter Truthahn ?
Unmittelbar vor Erreichen des Straßengrabens drehte das Ungeheuer den kantigen, langen Schädel und sah wieder zu William.
Dabei watschelte es unverdrossen weiter - und plumpste mit einem quiekenden Aufschrei schwungvoll in den Graben.
***
»Tja, Inspektor«, sagte Zamorra. »Jetzt wissen Sie, daß der Mörder des Gärtners nicht der Butler ist. Ob sich das gerichtlich verwerten läßt, ist natürlich eine Frage, die ich nicht beantworten kann - und auch nicht will. Aber immerhin brauchen Sie nicht mehr nach einem menschlichen Täter fahnden zu lassen.«
Brunot, der die Bilder in Miniaturform mitverfolgt hatte, seufzte. »Was nützt mir das? Soll ich zum Richter gehen und einen Haftbefehl für einen Drachen beantragen?«
Zamorra zuckte mit den Schultern. »Möglicherweise besitzt dieser Drache - als Angehöriger eines Fremdvolkes - so etwas wie diplomatische Immunität«, sagte Nicole. »Möglicherweise fällt er auch nicht unter französische Gerichtsbarkeit und müßte in seine Heimatwelt ausgeliefert oder abgeschoben werden. Es ist doch derzeit gängige Praxis, daß Verbrecher, die keinen französischen Paß haben, abgeschoben werden, nicht wahr?«
Zamorra runzelte die Stirn.
»Was soll der Unsinn?« fragte er unangenehm berührt.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Art von Humor verstehe, schon gar nicht, ob ich sie gutheißen kann, Mademoiselle«, sagte Brunot. »Immerhin ist ein Mensch getötet worden.«
»Von einem Drachen. Drachen sind Tiere. Fabelwesen. Das Opfer wurde nicht von einem Menschen getötet, sondern von einem Tier gerissen. Sie aber reden von einem Haftbefehl. Wundert es Sie, daß ich Sie nicht ganz so ernst nehmen kann, wie Sie es gern hätten?« Brunot winkte ab. »Warum habe ich bloß auf Robin gehört und Sie angerufen?«
»Weil Sie sonst noch in hundert Jahren an diesem Fall herumrätseln würden«, grinste Zamorra. »Gut, es hilft Ihnen nicht sehr viel weiter.
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