0548 - Feuerdrache
Schmerz verriet ihm, daß er nicht träumte, sondern hellwach war. Oder kann man im Traum oder unter hypnotisch-suggestiver Beeinflussung auch Schmerz empfinden? Er wußte es nicht.
Er fragte sich, was er tun sollte.
Davonlaufen?
Vor dieser Entscheidung hatte er eben schon einmal gestanden. Aber was, wenn ihm das Ungeheuer folgte?
Ihm vertrauen?
Das konnte dann sein letzter Fehler gewesen sein.
Versuchen, in den Wagen zu gelangen und zu starten?
Dazu mußte er die Zeit haben, den Cadillac zu rangieren und wieder in eine vernünftige Fahrtrichtung zu bringen.
Einmal hatte er es geschafft, das Monster zu verblüffen - mit dem Verdeckmechanismus. Doch er konnte sich nicht vorstellen, daß es sich ein weiteres Mal dadurch erschrecken ließ. Und zum Rangieren brauchte er Zeit.
Konnte er das Risiko eingehen? Oder lauerte das Biest nur darauf, daß er sich in seine Nähe begab, um dann bequem über ihn herfallen zu können? Vielleicht war es ebenso faul wie fett. Vielleicht scheute es nur die körperliche Anstrengung, ihn zu verfolgen und hinterher zu fliegen, und lockte deshalb sein Opfer nur auf die denkbar raffinierteste Weise an?
Tief atmete er durch.
In einer solchen Situation hatte er sich noch nie befunden.
Schwarze Magie, Ungeheuer, Zauberei, Teufelswerk - das alles war ihm nicht unbekannt. Immerhin war er lange Zeit der Butler von Lord Bryont Saris ap Llewellyn gewesen. Und der hatte genug mit Magie zu tun gehabt. Inzwischen gab es ihn als Bryont Saris nicht mehr; er war wiedergeboren worden als sein eigener Sohn Rhett Saris ap-Llewellyn, dessen Mutter, Lady Patricia, mit Kind und Butler auf Zamorras Anraten hin ins Château Montagne übergesiedelt war.
Früher, in Llewellyn-Castle, hatte er öfters magische Angriffe erlebt. Aber da war immer Sir Bryont in der Nähe gewesen, und überhaupt hatte die Abschirmung der Saris-Burg verhindert, daß die Angreifer wirklich gefährlich werden konnten. Die M-Abwehr, die Zamorra später für sein Château übernommen hatte, ließ keinen Schwarzblütigen eindringen, nicht einmal jemanden, der »nur« unter schwarzmagischem Einfluß stand.
Für ihn selbst hatte also niemals wirkliche Gefahr bestanden. Und selbst, wenn er in Zeiten der Bedrohung außerhalb von Llewellyn-Castle unterwegs gewesen war, hatte er immer darauf vertrauen können, daß der Lord ihm in Zweifelsfällen aus der Patsche geholfen hätte. Denn er hatte ja immer gewußt, wo sich sein Butler gerade zu befinden hatte.
Hier und heute war das anders.
Zwar wußte Lady Patricia, daß er nach Roanne gefahren war, um Spielzeug für den kleinen Sir Rhett zu kaufen. Aber sie besaß keine Para-Fähigkeiten, mit denen sie hätte feststellen können, ob und wo er Hilfe benötigte. Und das Kind hatte diese Gabe noch nicht entwickelt. Das würde noch viele Jahre dauern, bis zur Pubertät. Dann erst würden die Llewellyn-Kräfte im Erbfolger erwachen.
Aber selbst wenn Patricia irgendwie geahnt hätte, was hier geschah, hätte sie selbst nicht helfen können. Sie hätte Zamorra informieren müssen, und der war mit seiner Gefährtin Nicole Duval nach Lyon gefahren. Die Polizei brauchte ihn dort.
Das war auch der Grund, weshalb William mit Nicole Duvals Cadillac-Oldtimer unterwegs war. Normalerweise pflegte er Zamorras BMW zu benutzen, weil er nur zu gut wußte, wie eigen Mademoiselle Duval war, wenn es um ihr gepflegtes Auto ging. Aber der Professor und seine Sekretärin und Lebensgefährtin waren mit dem BMW unterwegs. So stand William eben nur der Cadillac zur Verfügung. Baujahr ’59, weiß mit roter Lederausstattung, chromüberladen, völlig rostfrei, schadstoffarm, unglaublich PS-stark und mit einer Technik, von der sich moderne Fahrzeugkonstrukteure noch eine Scheibe abschneiden konnten.
Und jetzt war das alles unwichtig geworden, weil nahe am Auto ein Ungeheuer lauerte, das sich absolut harmlos gab und doch unglaublich gefährlich sein mußte.
William rang mit sich.
Es ging nicht nur um ihn selbst. Das Ungeheuer konnte zu einer Gefahr werden, von welcher der Professor erfahren mußte. Aber wer sollte ihn informieren, wenn die Bestie William hier und jetzt umbrachte? Andererseits war ihm klar, daß er es niemals schaffen würde, zu Fuß zu fliehen und das Château zu erreichen. Wenn die Bestie merkte, daß ihre Taktik erfolglos blieb, würde sie sich sicher doch noch in die Luft erheben und ihn dann auch einholen.
So oder so wartete der Tod auf ihn!
Also mußte er das Risiko eingehen, zum Auto
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