0548 - Knochen-Cowboy
anderen nicht richtig erkennen können.
»Wer bist du denn?« fragte er mit schwerer Zunge. »Auch ein einsamer, alter Zecher, mein Freund?«
Der Mann gab keine Antwort.
»He! Sprichst du nicht mit jedem?« Charly wurde sauer. Betrunkene sind oft störrisch, da machte auch er keine Ausnahme. Er ärgerte sich ebenfalls darüber, daß er den Mann nicht erkannte. Das mußte einer aus dem Ort sein; Fremde verirrten sich kaum in diese Gegend.
Der genossene Alkohol hatte auch Charlys Sehkraft beeinträchtigt.
Er sah nicht nur doppelt, manchmal sogar dreifach. Um das auszuschalten, preßte er den rechten Handballen gegen sein Auge.
Jetzt sah er besser!
Eine hochgewachsene Gestalt stand vor ihm. Sie trug einen kantigen Hut. Unter der Krempe sah Charly ein helles Gesicht, das ihm sogar gelblich vorkam.
»Hast du gereihert, Freund?« fragte er, streckte den Arm aus, um den Mann zu berühren.
Der rührte sich nicht.
Doch der Zufall wollte es, daß Charlys Rechte genau dessen Gesicht unter der Krempe traf.
Er fühlte die Glätte, die Härte und kam nicht auf den Gedanken, daß es Knochen sein könnten.
»He, du hast aber eine komische Haut, du…«
Das Skelett legte seine rechte Knochenklaue auf den Griff der Waffe. Während Charly noch immer nachtastete, zog es den alten Revolver aus der Halfter.
Unter Charlys ausgestrecktem Arm hinweg bildete der Lauf die Verlängerung seiner hautlosen Hand.
Verfehlen konnte er den anderen nicht.
Das Skelett drückte ab.
Der Schuß peitschte auf. Charly bekam die Kugel in die Körpermitte. Er spürte einen nie gekannten Schmerz, als wäre eine Schwertklinge dabei, alles aus ihm herauszuschneiden.
Regungslos stand er da.
Drei, vier Sekunden vergingen, dann konnte Charly nicht mehr stumm bleiben.
Er brüllte, er schrie und verstummte erst, als er regungslos auf dem Boden lag und nicht mehr atmete.
Das Skelett stieg über ihn hinweg. Es ging weiter, als wäre nichts geschehen.
Noch ein Ziel lag auf seinem Weg.
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***
»Willst du nicht noch eine Nacht bei uns bleiben, mein Junge?«
»Nein, Ma, ich muß weg.«
»Aber nicht jetzt, es wird gleich dunkel.«
»Laß den Jungen doch fahren, Mary. Er ist kein kleines Kind mehr«, mischte sich mein Vater in unsere Unterhaltung ein.
»Sei du ruhig, Horace! Wenn du ehrlich bist, ist es dir auch nicht recht, daß John am Abend los- und die Nacht durchfahren will.«
Ich mußte lächeln, als ich meine Eltern beobachtete, die vor mir standen. Ich hatte mich einige Tage bei ihnen aufgehalten, teilweise nur privat, denn zwischendurch hatte es eine Jagd auf einen alten Vampir namens Zumbra gegeben, der letztendlich, als wir ihn gestellt hatten, von meinem Vater gepfählt worden war. [1]
Ich hatte noch zwei Tage bei meinen Eltern gewohnt und in der Zeit bestimmt fünf Pfund zugenommen, weil mich die gute Mary Sinclair so mästete. Vier Mahlzeiten am Tag, das war einfach zu viel, besonders dann, wenn man es nicht gewohnt ist. So spannte sich die Hose um die Hüften. Ich fühlte mich irgendwie unbeweglich. Es wurde Zeit, daß ich wieder Action bekam und abnehmen konnte.
Wir standen schon vor dem Haus, direkt unter den herrlichen, alten Bäumen, wo auch mein Rover parkte. Natürlich hatte es sich meine Mutter nicht nehmen lassen, mir ein Freßpaket mit auf die Reise zu geben: Salate, Thekenflöhe – auch Frikadellen genannt – zwei kleine Schnitzel und eine Hähnchenkeule lagen in der Kühlbox. Eine Thermoskanne mit Kaffee stand ebenfalls im Wagen.
Mit der Verpflegung konnte eine Pfadfindergruppe ausgerüstet werden, für einen einzelnen war es zuviel.
Sie strich über ihr Haar und schaute mich an. »Du willst es dir nicht noch einmal überlegen?«
»Nein, Mutter, ich muß fahren. Wirklich. Du vergißt immer, daß ich einen Job habe.«
»Aber jedem steht Urlaub zu. Auch dir, Junge.«
»Den wird er ausgerechnet bei uns verbringen, wie?« fragte Vater.
»Wäre doch nicht schlecht.«
»Ich war bereits in Urlaub, Mutter. In Spanien.«
»Das ist doch nichts.«
»Mir hat es gefallen.« Allerdings verschwieg ich, daß ich dort einen harten Strauß mit der Blutfrau hatte ausfechten müssen.
»Aber einen neuen Wagen könntest du dir zulegen, John?«
»Später, Dad. Zunächst muß ich mir mal Sukos Rakete ansehen.«
»Den BMW?«
»Ja.«
»Das wäre auch einer für dich.«
»Zu teuer, Dad. Ich habe mich für den Bentley damals schon krummlegen müssen.«
»Wir sind ja auch noch da.«
»Nein, nein, behaltet ihr
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