0555 - Consuelas bitteres Sterben
die einer Toten. Nichts rührte sich bei ihr. Die Frau selbst schien zu Eis geworden zu sein. Ihre Füße preßte sie hart gegen den Boden.
Bange Sekunden verstrichen, ohne daß sich etwas veränderte. Beide Frauen konzentrierten sich auf das Kommende.
Licht glühte auf. Nicht von einer Lampe, nein, mehr ein Strahlen, das sich innerhalb des Körpers der dunkelhaarigen Consuela gebildete hatte. Ein feines, aber auch kaltes Leuchten, das meiner Ansicht nach nicht von dieser Welt stammte, dafür aber in einem fernen Sternenreich geboren worden war.
Noch lastete die Stille über dem Raum. Bis sie plötzlich von einem Laut unterbrochen wurde, der nicht nur mir durch Mark und Bein schnitt. Es war ein wildes, ein klagendes Geräusch, und es drang aus dem Mund der Regine Dumont.
Schaurig, klagend und gleichzeitig herzzerreißend jammerte es als Echo durch den Versammlungsraum und floh hoch zur Halbkuppel, wo die Sterne strahlten.
Consuela zeigte kein Pardon. Sie ließ ihre Hände weiterhin auf den Haaren der Frau liegen, obwohl diese sich sehr quälte, zusammensinken wollte, aber von einer Gegenkraft in der alten Stellung gehalten wurde. Sie schrie weiter, hielt den Mund klagend offen. Ihr Gesicht hatte sie so gedreht, daß keiner mehr einen Blick hineinwerfen konnte.
Dafür sah ich das der Sternen-Prinzessin. Hatte es sich verändert?
War die Haut straffer geworden? Leuchtete es von innen heraus nun stärker auf? Oder irrte ich mich?
Ich wußte nichts mehr, nur die Chefredakteurin interessierte mich noch, die unter den fürchterlichen Qualen zu leiden hatte und bei Consuela kein Pardon fand.
Wie lange die beiden Frauen derart dicht voreinander gestanden hatten, wußte ich nicht zu sagen. Die Zeit war mir einfach davongelaufen. Dann zog Consuela ihre Handflächen mit einem heftigen Ruck zurück. Sie gab ihr Opfer frei, denn als Opfer sah ich Regine an.
Consuela trat einen Schritt zurück. Den Mund hielt sie offen, den Kopf nach hinten gelegt. Über die Lippen drang ein pfeifendes Geräusch, das möglicherweise ein Zeichen ihrer Erlösung war.
Sie bewegte ihre Schultern, sie schüttelte sich, und sie deutete auf Regine Dumont.
»Die erste, die die Gnade der Sternen-Prinzessin erfahren hat«, erklärte sie. »Weitere werden folgen, aber ihr Blick ist bereits für die anderen Dinge offen. Sie hat die Schwelle übertreten. Ihr werdet noch warten müssen, aber die Nacht wird die entscheidende für euch sein. Bitte, Regine, sag es ihnen.«
Die Chefredakteurin hatte den Befehl vernommen. Noch rührte sie sich nicht. Sie stand da mit gesenktem Kopf, als würde sie sich schämen.
Nur sehr langsam richtete sie sich auf. Es geschah wie im Zeitlupentempo. Sie bewegte dabei zuckend die Schultern, auch den Kopf, und mit einem Schwung drehte sie sich auf der Stelle um.
Regine schaute uns an.
Wir starrten sie an.
Jeder sah, was mit ihr geschehen war, welchen Preis sie dafür bezahlt hatte.
Regine Dumont war um Jahre gealtert!
***
Sie sah aus wie ihre eigene Großmutter!
Dieser an sich sarkastische Vergleich kam mir in den Sinn, aber er stimmte.
Die Gesichtszüge wirkten wie eine stumpfe Knetmasse, die allmählich zusammenfiel. Mit den Haaren war ebenfalls eine Veränderung vorgegangen. Nicht mehr braun und getönt, sondern strohig, angegraut, ein regelrechter Wirrwarr, der ein krauses Gebilde auf ihrem Kopf hinterlassen hatte. Für uns alle war der Anblick furchtbar, und ich mußte mich zusammenreißen, um der Sternen-Prinzessin nicht entgegenzulaufen.
Noch befand sich der Junge in der Nähe. Er war ein zu gutes Faustpfand. Hoffentlich holte Suko ihn bald weg.
Noch immer standen die beiden Frauen dicht beisammen. Nun allerdings fiel mir ein anderer Vergleich ein.
Die eine war die Königin, die andere eine Magd.
Wir hörten sie schluchzen. Regine mußte gemerkt haben, was mit ihrem Gesicht geschehen war. Consuelas Worte klangen direkt zynisch, als sie sagte: »Was zählt schon das Aussehen, wenn es allein um die inneren Werte geht. Schaut sie euch an! Sie hat mir ihren Lebensfunken gegeben, aber sie wird in Welten hineinschauen können, von denen ihr nicht einmal zu träumen wagt. Jeder von euch kann das gleiche Erlebnis bekommen. Wir nehmen uns viel, und wir geben uns viel. Kraft, Jugend und Stärke bekomme ich, dafür lasse ich euch an anderen Dingen teilhaben. Ihr dürft schauen, erkennt Zusammenhänge. Deshalb werde ich Regine eine Frage stellen. Was siehst du, meine Liebe?«
Auf die Antwort war ich gespannt.
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