0555 - Consuelas bitteres Sterben
mir entgegen und gibt mir den Funken, einen Teil seiner Seele, seiner Jahre, seiner Existenz?«
Es wurde ernst, das war allen klar. Aber noch wurde nur abgewartet. Keine vorschnelle Reaktion mehr, die Ruhe vor dem Sturm. Jeder wußte, wie groß das Wagnis war, das für Consuela eingegangen werden sollte. Neben mir stand noch immer die Chefredakteurin.
Ich sah, wie ein Ruck durch ihre Gestalt ging und sie tief einatmete, als wolle sie die klare Luft trinken.
Ein Vorzeichen, und für mich war es wichtig, mich zurückzuziehen und eine andere Deckung zu suchen.
Geirrt hatte ich mich nicht. In die Stille sprach Regine Dumont mit einer klaren und überall verständlichen Stimme hinein. »Ich werde den Anfang machen, Consuela!«
Wie von der berühmten Schnur gezogen, wandten sich ihr die Köpfe der Anwesenden zu. Jeder schaute in ihre Richtung. Wer sie nicht sofort sehen könnte, stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick zu erhaschen.
»Dann komm zu mir, Regine. Ich habe es gewußt, daß du dich melden würdest. Bitte…«
Die übrigen klatschten zaghaft. Nur zwei, drei, vier Personen, mehr nicht. Dafür schuf man ihr eine Gasse, durch die sie direkt zu Consuela hingehen konnte.
Sie warf mir noch einen Blick zu, den ich nicht zu deuten verstand.
War er lauernd, auffordernd oder kalt?
Ich wußte es nicht. Er konnte auch einen Abschied beinhalten. Ich war gespannt, wie es weitergehen würde, und rechnete mir schon aus, daß ich möglicherweise das gleiche tun würde wie die Chefredakteurin.
Courage mußte man der Frau zugestehen, auch wenn sie den Weg jetzt zögernd einschlug. Die Sternen-Prinzessin streckte ihr die Hand entgegen. »Du bist die erste, du wirst das Beispiel geben für alle anderen. Schon einmal habe ich mir einen Lebensfunken geholt. Der Junge, den ihr seht, gab ihn mir. Er lebt noch, nur sein Gesicht ist ein wenig älter geworden, doch dieser Preis ist im Gegensatz zu dem, was ihr alle durch mich bekommen werdet, gering.«
Wer an diese Worte glaubte, war selbst schuld.
Hinter Regine schloß sich die Gasse wieder, so daß ich meinen alten Platz einnehmen mußte, um sie gut erkennen zu können. Suko ließ sich noch nicht blicken. Wahrscheinlich würde auch er abwarten, was geschah. Dabei dachte ich über den Vorgang an sich nach.
Vampire nahmen keinen Lebensfunken in sich auf, sie saugten Blut, indem sie ihre Zähne in die Schlagader eines Opfers schlugen.
Wie würde sich Consuela verhalten? In gewisser Hinsicht konnte auch sie als ein Vampir bezeichnet werden.
Ich fragte mich nur, wie sie es anstellen würde, an die Seele oder den Lebensfunken der Personen heranzukommen.
Regine Dumont stand nur mehr einen Schritt vor ihr. Beide Frauen starrten sich an, und beide sahen so unterschiedlich aus, daß sie einander fremd wirkten.
Regine glich einer Chefin, einer Person, die das Sagen hatte. Allein ihre Kleidung und ihr Gehabe ließen darauf schließen.
Anders Consuela. Weich und fließend umwehte der blaue Stoff des Kleides ihren Körper. Sie war ganz Frau, doch ihre Körperhaltung glich der einer Herrin. Sie wußte genau, was sie wert war und was sie zu sagen hatte. Ihr Gesicht zeigte unter dem dunklen Haar eine noch blassere Farbe als zuvor. Gleichzeitig überkam mich der Eindruck, als würde es von innen her anfangen zu leuchten. Ein Schein, der um ihre Wangen huschte und schließlich Augen sowie Stirn erreichte.
»Sie ist die Mutigste von euch. Die erste, die das Gefühl haben wird, über die Schwelle in ein neues Zeitalter treten zu dürfen. Sie wird Welten erleben, die so völlig anders sind als die heutige. Ihr Geist wird sich öffnen und zahlreiche Dinge aufnehmen können, die ihr bisher noch verborgen geblieben sind. Bist du bereit, Regine?«
»Ja, ich bin es!«
»Dann tritt noch näher!«
Die beiden Frauen waren ungefähr gleich groß. Als sie sich so dicht gegenüberstanden, sah es aus, als würden sie sich gegenseitig mit den Stirnen berühren.
Es wurde still.
Jeder hielt den Atem an. Auch ich wagte nicht, die Luft normal einzusaugen oder auszuatmen. Die Stille des Alls schien sich über diesen Raum gelegt zu haben.
Der Junge wartete, von Suko entdeckte ich ebenfalls nichts. Alles war gespannt.
Consuela legte ihre Hände flach auf den wohlfrisierten Haarschopf der Chefredakteurin, die nicht einmal zusammenzuckte, als sie berührt wurde. Sie hatte den Kopf um eine Idee nach rechts gedreht, so daß ich sie im Profil erkennen konnte.
Die Haut wirkte wächsern, fast wie
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