0556 - Milenas Opferstätte
Mr. Sinclair?«
Ich hatte das Gefühl, als würde sie meine Antwort mit großer Spannung erwarten. »Ich werde fahren«, sagte ich leise.
Erschrak sie? Ihre hellen Augenwimpern jedenfalls zitterten. Sie schaute zur Seite. »Sagen Sie aber nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«
»Keine Sorge. Mir kommt es nur vor, als würden Sie mehr wissen, Miß Leyn.«
»Gerüchte«, flüsterte sie. »Nur Gerüchte. Wir leben hier auch nicht auf dem Mond, obgleich es für Fremde manchmal den Anschein hat. Es spricht sich einiges herum, verstehen Sie?«
»Das glaube ich Ihnen schon, Miß Leyn.«
»Wann willst du fahren, John?«
»Ich fühle mich an sich fit. Ich habe etwas geschlafen, die Strecke traue ich mir ohne weiteres noch zu.«
»Also jetzt?«
»Richtig.«
Bill holte den Wagenschlüssel aus seiner Hosentasche. »Hier, du kannst den Porsche nehmen.«
»Danke, darum wollte ich dich bitten.« Ich steckte den Schlüssel ein und stand auf. »Dann werde ich mal losdüsen. Rufst du Suko an?«
»Klar.«
»Er soll früh losfahren, dann schafft er es in einem Tag. Finden wird er mich in Talley.«
»Hoffentlich nicht als Leiche oder als Vampir«, flüsterte Bill.
Ich deutete auf meine Brust, wo unter der Kleidung das geweihte Silberkreuz hing. »Keine Sorge, mein Lieber, Unkraut vergeht nicht. Bisher haben sich Vampire an mir noch immer die Zähne ausgebissen.«
Lorna Leyn hatte die Worte gehört Sie starrte mich dabei so ungläubig an, daß ich lachen mußte. Eine weitere Erklärung gab ich ihr nicht. Mein Weg führte mich wieder in die erste Etage. Bill begleitete mich. Er schaut mir zu, wie ich meinen Koffer und die Urne an mich nahm.
Ich sah ihm seine Verlegenheit an. Er wollte etwas fragen, brachte es aber nicht heraus.
»Bill, was hast du?« Ich erleichterte ihm die Sache. »Dich bedrückt etwas. Sag es!«
»Nun ja, es ist wegen mir. Ich meine, ich habe mich nicht so benommen, wie es eigentlich hätte sein müssen. Bist du noch sauer auf mich? So hast du mich ja nicht gekannt.«
Ich lachte ihn an. »Nein, Bill, ich bin nicht sauer auf dich. Wie könnte ich das?«
»Weil ich dich hier im Stich lasse.«
»Unter Umständen hätte ich ähnlich gehandelt. Im Gegensatz zu mir hast du Familie, auf die du Rücksicht nehmen mußt. Außerdem wird Suko morgen zu mir stoßen. Halte du hier die Stellung. Alles andere werden wir schon schaukeln.«
»Ich freue mich, daß du so denkst.« Wohl war ihm bei den Worten nicht. Er ließ mich praktisch zum erstenmal im Stich, nur hatte ich meine Worte vorhin ehrlich gemeint. Ich war ihm nicht böse.
Mit einem letzten Rundblick überzeugte ich mich, daß ich nichts vergesse hatte und machte mich auf den Weg nach unten. Wieder begleitete mich der Reporter. Wir hatten kurz vor dem Ort noch einmal getankt. Um den Sprit brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.
Mit einem kräftigen Händedruck verabschiedeten wir uns voneinander. »Paß nur auf, John!« flüsterte mein Freund. »Ich habe das Gefühl, als würde ich dich in den Tod fahren lassen.«
»So schlimm ist es nicht.«
Ich stieg ein. Wenig später röhrte der Motor des Porsche auf. Aus dem Auspuff stiegen weiße Wolken. Die Scheiben zeigten einen leichten Eisfilm. Langsam rollte ich aus dem Ort und sah Bill im Rückspiegel. Winkend schaute er mir nach…
***
Erst als die Heckleuchten des schnellen Flitzers verglüht waren, drehte sich der Reporter um und ging mit müde wirkenden Schritten auf das Gasthaus zu.
Lorna Leyn war noch nicht zu Bett gegangen. Sie befand sich in der Gaststube und hatte eine halbgefüllte Flasche mit Whisky aus dem Regal geholt. »Ich kann einen Schluck gebrauchen. Sie auch, Mr. Conolly?«
»Ja, gern.« Bill setzte sich.
Lorna kam zu ihm. Den Bademantel hatte sie nur locker geschlossen. Er klaffte bei jedem Schritt auf und ließ viel von ihren hübschen Beinen sehen.
Sie schenkte zweimal ein. »Cheers, Bill. So heißen Sie doch – oder?«
»Ja.«
»Ich bin Lorna.«
Sie strich mit dem Glasrand an ihrer Unterlippe entlang. »Es kommt nicht oft vor, daß uns Fremde besuchen«, erklärte sie leise.
»Für mich ist das jedesmal ein Stück der weiten Welt.«
»Das kann ich mir denken.«
»Deshalb freue ich mich, wenn ich mal einen Besucher habe.« Unter dem Tisch streckte sie die Beine aus. Ein Fuß berührte Bills Wade. Sie strich daran auf und ab. »Sie verstehen doch, Bill, nicht wahr?«
»Ja… natürlich«, erwiderte der Reporter gedehnt, um einen Moment später zu fragen. »Wie alt sind
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