0556 - Milenas Opferstätte
meinen Freund nicht. Gemeinsam hatten wir schon den Teufel am Schwanz gekitzelt, hatten Horrorabenteuer erlebt, über die man nur den Kopf schütteln konnte. Plötzlich kam Bill Conolly an und wollte nicht mehr. Da mußte etwas anderes dahinterstecken.
Er saß neben mir. Gebeugt, den Kopf nach vorn gedrückt, so starrte er auf das Pflaster. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn leicht durch. »Bill, ich kann dich irgendwie verstehen. Ich akzeptiere es auch, was du mir gesagt hast, aber ich habe einfach das Gefühl, daß es noch etwas gibt, das dich davon abhält, nach Talley zu fahren.«
»Dieser Ort ist verflucht!«
»Hat dir Milena das gesagt?«
»Ja und nein. Ich habe es gespürt. Da lauert das Böse. Das alte kalte Grauen, eingepackt in ein neues Gewand. Vampire, die sich entwickelt haben, und die ein Geist beherrscht, Milena Mancow. Wir sind daran nicht unschuldig, daß es überhaupt soweit gekommen ist.«
»Wie meinst du das denn?«
»Man hat uns die Urne geschickt.«
»Das weiß ich.«
»Es war dein Blut, John, das in die Asche gefallen ist. Das Blut eines Menschen und die Asche des Vampirs. Muß ich dir noch erklären, was diese Mischung bedeutet?«
»Nicht genau.«
»Du hast mit deinem Blut dafür gesorgt, daß die neue Seite aufgeschlagen werden konnte.«
Ich hob die Schultern. »Ganz so dramatisch sehe ich das nicht, Bill. Aber ich akzeptiere deine Meinung. Nur werde ich den Eindruck nicht los, daß noch etwas Gravierendes geschehen ist. Allein dieser schlimme Traum kann dich nicht so verändert haben.«
Bill hob die Schultern.
Ich zog ihn so weit herum, daß ich ihm ins Gesicht schauen konnte. Mein Blick brannte in seinen Augen. »Los, alter Junge!« flüsterte ich. »Sag mir die volle Wahrheit.«
»Du kennst sie.« Er schlug den Blick nieder.
»Die volle, Bill!«
Seine Hände bewegten sich unruhig. Er stand plötzlich wie unter Strom. Reden konnte er kaum, er mußte sich erst die Kehle freiräuspern. Mit einer verlegen wirkenden Geste wischte er über seine Augen, in denen es feucht funkelte.
»Was ist noch geschehen, Bill?«
»Johnny!« hauchte er. »Ich sah plötzlich sein Gesicht. Ich sah den Jungen, ich sah Milena, und sie schwebte wie ein Schatten über ihm, als wollte sie ihn zu sich holen. Das ist es, was mich so fertig gemacht hat. Verstehst du mich nun?«
Ich schwieg. Ja, ich konnte ihn verstehen. Ich wußte, wie sehr Bill an seinem einzigen Sohn hing. Unsere Feinde hatten des öfteren versucht, uns über Johnny zu treffen. Bisher hatten wir die Gefahren abwenden können, nur war es immer schwieriger geworden, weil die dämonische Seite mit allen Tricks arbeitete. Wenn Bill seinen Sohn tatsächlich zusammen mit Milena in seinen Träumen gesehen hatte, war das schlimm.
»Ja«, sagte ich leise. »Du kannst bleiben, Bill. Du kannst zurück nach London fahren und…«
»Nein, ich verlängere meinen Aufenthalt hier. Ich werde aber Suko und Jane anrufen. Sie sollen herkommen. Sie können dich unterstützen. Ich… ich will Milena nicht mehr sehen. Das Kapitel ist abgeschlossen. Es war früher einmal. Da waren wir noch sehr jung, aber jetzt …«
»Okay, Junge, bevor du hier anfrierst, wollen wir lieber gehen.«
»Einverstanden.«
Mein Freund erhob sich mit Bewegungen, die einem Greis zugestanden hätten. Er hielt sich an meiner Seite. Während er ging, schwankte er leicht, als hätte er getrunken.
»Hast du auch Lorna Leyn gesehen?«
»Wer ist das?«
»Die Tochter der Wirtsleute.«
»Natürlich. Sie fragte mich noch, wo ich hinwollte. Ich gab ihr keine Antwort. Bevor ich hinauslief, riet auch sie mir, nicht nach Talley zu fahren. Daß dort etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, muß sich bereits herumgesprochen haben.«
»Mehr will sie auch nicht sagen.«
»Vielleicht weiß sie nichts.«
»Kann auch sein.«
Wir hatten uns wieder der bewohnten Gegend genähert. Ich schaute auf die Uhr. Es war genau halb zwei, als wir die Gaststätte erreichten. Lorna hatte die Außenleuchte brennen lassen.
Das Mädchen wartete noch auf uns. Sie saß im Gastraum und rauchte eine Zigarette. »Da sind Sie ja«, sagte sie.
Wir nahmen ebenfalls Platz. »Mein Freund hat sich entschieden, noch bei Ihnen zu bleiben. Ist das möglich?«
Lorna schaute Bill an. »Stimmt es?«
»Ja.«
»Soweit ich informiert bin, hat sich hier nichts Großartiges getan. Es sind genügend Zimmer frei. Sie können bleiben, so lange Sie wollen.«
»Vielleicht zwei Tage.«
»Gut. Und Sie,
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