0556 - Milenas Opferstätte
mir jemand eine Urne ins Haus schickt…«
***
Verflixt, der Portier hatte recht. Das war der springende Punkt oder des Rätsels Lösung. Man hatte mir keine Vase mit Deckel ins Haus geschickt, dafür eine Urne.
Ein makabres Geschenk.
Ich stellte sie ab, blieb neben ihr hocken, auch der Portier ging in die Knie. »Die sieht doch nicht mal schlecht aus«, sagte er. »Haben Sie sich die bestellt? Wollen Sie mal verbrannt werden, wenn dann alles vorbei ist?«
Ich schaute ihn mit einem langen Blick an und schüttelte den Kopf.
Er entschuldigte sich sofort. »Sorry, Sir, so war das nicht gemeint. Aber auch in der Urne können Bomben versteckt werden. Das ist mal auf einer Beerdigung in Nordirland passiert. Da war sogar ein Verwandter von mir dabei. Plötzlich explodierte die Urne. Ich an Ihrer Stelle würde sehr vorsichtig sein, Sir.«
»Danke für den Rat. Von selbst wäre ich kaum darauf gekommen.«
»Na ja…« Er fühlte sich plötzlich unwohl und stand auf. »Ich muß wieder ins Haus.«
»Okay.«
Normal laufend, aber rückwärts schauend ging er wieder zu seinem Platz. Ich blieb neben dem leeren Paket und der Urne hocken.
Das war in der Tat ein Hammer. Man hatte mir schon viel zukommen lassen, aber eine Urne hatte sich nicht darunter befunden.
Wieso? Weshalb schickte man mir eine Urne ins Haus? War sie leer oder voll? In die Urnen kam die Asche der Verstorbenen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, daß jemand aus meinem Bekanntenkreis gestorben war und ich die Angehörigen gebeten hatte, mir die Asche des Verstorbenen zu schicken.
Es mußte einen anderen Grund geben. Ich dachte wieder an die Nachricht vom vergangenen Abend. Man hatte mich an meine Vergangenheit erinnert, von einer Überraschung geschrieben, und diese Urne mußte einfach die Überraschung sein.
Sie besaß wirklich eine bauchige Form und ähnelte einer Vase. Der kleine Deckel war rund und besaß auf seiner Oberseite einen Knopf zum Abheben.
Ich hob die Urne noch einmal an. Das Material war dunkelgrau glasierter Ton. Ob sich ein Inhalt darin befand, konnte ich nicht sagen. Asche ist leicht, fällt kaum ins Gewicht, allerdings traute ich mich auch nicht, den Deckel abzuheben. Der Verdacht mit der Bombe ging mir nicht aus dem Kopf. Vielleicht bestand eine Verbindung zwischen der unteren Seite des Deckels und dem Zünder.
Was gab es für Möglichkeiten?
Unsere Experten mußten ran. Sie konnten sie hier draußen untersuchen. Ich überlegte noch immer. Schließlich war ich es leid und ging das Risiko ein.
Mit zwei Fingern umfaßte ich den Knopf, hielt ihn sehr fest und hob den Deckel an.
Ich war sehr behutsam zu Werke gegangen. Beim geringsten Widerstand hätte ich ihn zurückgedrückt. Das brauchte ich nicht, weil der Widerstand nicht vorhanden war.
Nichts passierte, als ich den Deckel abhob. Ich schielte in die offene Urne hinein, sah bis zum Grund, ohne allerdings erkennen zu können, ob sich Asche darin befand.
Dafür holte ich meine Bleistiftleuchte hervor, strahlte hinein und entdeckte tatsächlich einen grauen Belag. Das war die Asche des Verbrannten.
Aber ich sah noch mehr, als ich die kleine Lampe drehte. Der Strahl glitt auch an der Innenseite entlang und erwischte dort einen nicht sehr großen Briefumschlag, den jemand mit einem durchsichtigen Kleber an der Innenwand befestigt hatte.
Wieder eine Nachricht.
Die Öffnung war groß genug, um die Hand hineinschieben zu können. Ich drehte sie nach rechts und bekam mit den Fingerspitzen den Umschlag an der Innenwand zu fassen. Der Klebestreifen ließ sich leicht lösen. Ein kurzer Ruck, und ich hielt den Umschlag in der Hand.
Bevor ich ihn öffnete, setzte ich wieder den Deckel auf die Urnenöffnung und las wenig später die Nachricht, die man mir hinterlassen hatte.
»Lieber John, Du wirst Dich vielleicht noch an mich und die schönen Zeiten erinnern, die wir gemeinsam erlebt haben. Du, deine Freunde, auch Bill, wir haben mal eine Clique gebildet. Aber jetzt bin ich tot, und ich will trotzdem leben. Du kannst mir dazu verhelfen. Vielleicht auch Bill. Denk daran, die alten Zeiten können zurückkehren. Ach ja, Du weißt gar nicht, wer ich bin. Ich wohne nicht mehr in London, mich hat es an einen anderen Ort getrieben. Du wirst es schon herausbekommen. Mein Name ist Milena Mancow. Na, erinnerst Du Dich jetzt? Das Mädchen mit den schwarzen Haaren und den dunklen Augen. Ich habe Dich einmal verrückt gemacht, hast Du mir gesagt. Jetzt siehst Du meine Asche. Aber Du kannst noch
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