0557 - Gehetzt, gejagt, getötet
durch den sie mit ihrer Beute schritt?
Sie traute sich kaum, einen Blick hineinzuwerfen. Als sie es dennoch tat, sah sie die bleichen Flecken in der Finsternis, die an den Rückseiten zu kleben schienen.
Es waren Gesichter…
Vampirfratzen mit aufgerissenen Mäulern. Die Schwingen entdeckte sie nicht, weil sie mit der Dunkelheit verschmolzen.
An einer bestimmten Stelle mußte sie stehenbleiben. Wenn sie einen Blick in die Höhe warf, so sah sie auch einen runden Ausschnitt und erkannte einen Teil des Himmels, wo die Sterne allmählich verblaßt waren.
Hier mußte sie bleiben!
Wieder vernahm sie Milenas Stimme. ›Geh einige Schritte vor, bis du an die Öffnung gelangst.‹
»Und dann?« wisperte sie.
›Laß ihn fallen.‹ Sie gehorchte. Schon nach zwei Schritten sah sie die obere Schachtöffnung.
»Hallo, Lorna!«
Das Mädchen zuckte zurück, als Sie die Begrüßung vernahm, die dumpf aus der Tiefe des Schachtes an ihre Ohren gedrungen war.
Sie hatte die Stimme genau erkannt.
Dort unten wartete Milena.
»Danke, daß du gekommen bist, kleine Freundin. Ich wußte ja, daß ich mich auf dich verlassen kann. Mit der Urne ist alles wunderbar gelaufen. Jetzt brauche ich nur den Körper.«
»Was soll ich denn tun?«
»Wirf ihn zu mir in den Schacht.«
Lorna erschrak. »Das wäre Mord. Ich kann es nicht. Ich habe ihn nicht getötet, aber jetzt…«
»Ich brauche ihn, Lorna. Oder glaubst du etwa, daß ich jemand, den ich benötige, töten werde oder töten lasse?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Dann vertraue mir auch.«
Überzeugt war Lorna Leyn nicht. Nur wußte sie nicht, was sie sonst hätte unternehmen sollen. Sie schleifte den leblosen Bill Conolly bis dicht an den Rand des Schachtes.
Seine Arme baumelten zuerst in die Tiefe. Als sie ihn anschob, folgten der Kopf, die Schultern und der Oberkörper, der sich nicht mehr halten konnte. Er fiel.
Lorna sprang zurück. Sie blieb danach wie erstarrt stehen und wartete auf den Aufschlag.
Der erfolgte nicht.
Dafür vernahm sie Milenas Lachen. »Keine Sorge, Lorna, ihm ist nichts geschehen. Noch nicht…«
»Und jetzt?«
»Kannst du wieder gehen. Lauf zurück! Setz dich in dein Auto und fahr nach Hause. Sollte ich dich wieder brauchen, so melde ich mich. Besser, ich werde vorbeikommen.«
»Ja, Milena, ich warte.« Lorna kehrte auf der Stelle um und lief wieder in den Stollen. Sie keuchte. Angst berührte sie wie eine Peitsche. So rasch wie möglich verließ sie die unterirdische, unheimliche Stätte und warf auch keinen Blick mehr in die geheimnisvollen Nischen. Sie wollte nur weg.
Erst im Wagen atmete sie auf, doch das Zittern konnte sie nicht unterdrücken.
Minutenlang blieb sie so sitzen. Erst dann fand sie den Mut und die Kraft, den Motor wieder anzulassen.
Langsam ließ sie den Mercedes anrollen. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit Bill Conolly.
Wie mochte es ihm wohl ergangen sein? Lorna Leyn ertappte sich dabei, ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Sie war eben ein Mensch und kein Monstrum.
Daß sie allerdings dabei war, in einen gefährlichen Strudel zu geraten, wußte sie ebenfalls. Nur fand sie nicht die Kraft, dagegen anzuschwimmen. Sie würde sich weiter treiben lassen und dabei auf ihre geheimnisvolle Freundin Milena hoffen…
***
Ich stand am Eingang, starrte in das einsam stehende Wohnmobil und sah die fünf Männer am Boden liegen. Sie krümmten sich, husteten, würgten, mußten sich übergeben und waren in dieser Lage völlig hilflos.
Das alles hatte ich bereits hinter mir. Nur hatte ich es geschafft, den Wagen im letzten Augenblick zu verlassen, bevor ich mich hatte übergeben müssen. Alles lag nur an diesem verdammten Giftgas, mit dem ein Mann namens Basil Kropec uns überrascht und auch außer Gefecht gesetzt hatte. Wahrscheinlich wußte noch keiner der fünf vom Alter her unterschiedlichen Männer den Grund. Ich aber hatte ihn erkannt.
Die Urne war verschwunden!
Die Urne mit der Asche einer Vampirin namens Milena Mancow.
Und nicht allein Asche hatte sich in der Urne befunden. Durch drei Tropfen meines Blutes war sie zu einem Gemisch vermengt worden, das aussah wie ein rohes Stück Fleisch, dabei die Umrisse eines Gesichts zeigte, in dem sich auch zwei Augen abzeichneten.
Milenas Gesicht!
Mit der Urne hatte alles begonnen und einem Brief, der dem Gefäß beigelegt worden war. [1] Beides hatte man mir zugeschickt und mich in dem Schreiben darum gebeten, die Asche mit meinem Blut zu vermengen. Ich hatte es getan und auch
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