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0558 - Aus dem Jenseits entlassen

0558 - Aus dem Jenseits entlassen

Titel: 0558 - Aus dem Jenseits entlassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Gast konnte nun erkennen, daß sie keine echte Frau war. Sie verbeugte sich mehrere Male. Ich leerte mein Glas und rutschte vom Hocker. Die Auflage sah aus wie Leder, bestand aber aus Kunststoff, an dem der Hosenstoff regelrecht festgeklebt war.
    »Ich bringe sie in Ericas Garderobe«, sagte Gilda. »Sie will dort allein mit Ihnen reden.«
    »Okay.«
    Hinter ihr ging ich her. Gildas Hüftschwung wirkte eher traurig.
    Rita Hayworth hatte das damals besser gekonnt. Wir brauchten nicht die Treppe hochzusteigen. Rechts neben der Theke befand sich eine schmale Tür, verdeckt von einem Vorhang. Den schob Gilda zur Seite. Ein kahler Gang nahm uns auf.
    Die Wände ließen jeglichen Putz vermissen. Blasser Kalksandstein, verschmiert durch obszöne Sprüche und Liebesverse, begleitete uns.
    Wenn die Garderoben ebenso klein und schmal waren wie die Türen, dann konnte man sie nur als große Streichholzschachteln betrachten. Ich mußte den Kopf einziehen, als ich den Raum betrat.
    Er war wirklich eng. An den Wänden hingen Hochglanzfotos. Die zeigten Erica in allen möglichen Posen. Ein Motiv kehrte immer wieder: Erica hockte auf einem Stuhl wie damals Marlene Dietrich. Ein Bein ausgestreckt, das andere angezogen und mit der Hacke auf den vorderen Rand es Stuhls gestemmt.
    »Weiter«, sagte ich. »Was kommt jetzt?«
    Gilda war an der Tür stehengeblieben. »Ich muß mich jetzt verziehen. Und macht mir keinen Unsinn, ihr beiden!« Lachend lief sie hinaus.
    Ich winkte ab. Da brauchte sie keine Angst zu haben. Mit Erica würde ich bestimmt keinen Unsinn machen. Für Besucher gab es einen zweiten Schemel. Von dem flauschigen klopfte ich den Puder ab, bevor ich mich setzte.
    Das Licht brannte rechts und links des breiten Schminkspiegels.
    Zwei Leuchten rahmten ihn ein. Auf dem Schminktisch standen Puderdose, lagen Pinsel, Tiegel und Töpfe sowie jede Menge weicher Watte zum Abtupfen. Dementsprechend roch es auch. In einem Tongefäß lag kalte Asche, vermischt mit Zigarettenkippen.
    Hoffentlich ließ, mich Erica nicht zu lange warten. Ich wollte noch in dieser Nacht frische Luft schnappen.
    Sie kam. Allerdings nicht allein. Auf dem Gang hörte ich die Stimmen mehrerer Personen. Anscheinend wollten ihr einige Verehrer keine Ruhe lassen. »Nein, nein, jetzt nicht. Ich werde später noch einmal in die Bar kommen, da können wir etwas trinken.«
    »Dann sind wir nicht allein.«
    »Na und? Geht jetzt!«
    Heftig zog Erica die Tür auf, sah mich und atmete auf.
    »Ach, du hast schon einen Kerl!« rief jemand aus dem Gang. »Das werde ich mir merken.«
    Sie knallte die Tür zu.
    »Hi, John«, begrüßte sie mich, als würden wir uns schon jahrelang kennen.
    »Soll ich Erica oder Eric sagen?«
    Sie lachte und setzte sich. Über ihren Körper hatte sie einen seidenen Morgenmantel gestreift. »Nein, nicht Eric. Ich bin Erica.« Sie verzog die Lippen. »Eric habe ich früher zu oft hören müssen.«
    »Okay, Erica, worum geht’s?«
    Ich bekam zunächst keine Antwort, weil sie erst einen Piccolo zu sich nahm. Die kleine Flasche hatte sie einer Kühlbox entnommen, die unter dem Garderobentisch stand.
    Sie leerte das erste Glas mit einem Zug und zündete sich anschließend einen Glimmstengel an. »Das tut gut«, sagte sie.
    »Kann ich mir denken. Ich bin gekommen, Erica, jetzt möchte ich auch wissen, weshalb ich Sie besuchen sollte. Ihre Freundin Gilda ist schon eifersüchtig geworden.«
    »Ach die.« Sie winkte ab und klimperte mit den aufgeklebten, langen Wimpern.
    »Also – worum geht’s?«
    Er oder sie rauchte, hielt die Zigarette zwischen den spitzen Fingern und blickte versonnen dem blaugrauen Qualm nach. »Ich möchte Ihnen ein Märchen erzählen, Sinclair.«
    Ich beugte mich vor. Der Hocker war trotz der gespannten Sitzfläche unbequem. »Wie schön«, erwiderte ich sarkastisch. »Aber glauben Sie nicht, daß ich für Märchen schon zu alt bin?«
    »Nein, dazu ist niemand zu alt. Ich meine auch keine erotischen Märchen, sondern etwas anderes.«
    »Und das wäre?«
    »Schneewittchen.«
    Jetzt mußte ich lachen. »Ja, die Geschichte kenne ich. Der blieb ein Stück vom vergifteten Apfel im Hals stecken.«
    »Genau. Man legte sie dann in einen gläsernen Sarg.«
    »Das ist auch bekannt.«
    Erica streckte die Beine aus. »Ich, John Sinclair, habe dieses Schneewittchen gesehen. Es lag in einem gläsernen Sarg, der auf einer Kutsche stand. Sie war pechschwarz. Vier Laternen gaben Licht, und sie wurde von zwei Schimmeln gezogen. Hinter ihr

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