056 - Satans Mörderuhr
einem abgetragenen Schaffellmantel steckender
Körper zeichnete sich kaum von dem schwarzen Hintergrund der Brücke ab.
»Nein! Größer. Eine ganze Kiste!« Maurice ging mit unsicheren
Schritten an den Uferrand. Der Rücken des Mannes war gebeugt.
»Hat wieder mal einer zur Umweltverschmutzung beigetragen, wie ?« , machte Armand sich bemerkbar. Auch er erhob sich jetzt
und näherte sich dem alten Maurice. Vielleicht wurde doch etwas angeschwemmt.
Sie hatten schon die tollsten Dinge erlebt. Einmal hatte er, Armand, sogar
einen Zwanzig-Franc-Schein auf dem Wasser gefunden. Alte Schuhe und alte
Kleidungsstücke gehörten schon zum gewohnten Unrat, den die Seine freigab.
Armand fingerte nach der langen Astgabel, die an der Mauer stand.
»Wir rücken dem Fund zu Leibe«, kicherte er, zog schnüffelnd die
Nase hoch, klemmte sich die verdrückte Zigarette fester zwischen die Lippen und
starrte angestrengt aufs dunkle Wasser. Das Bündel schwappte im Wasser auf und
ab. Armand holte es mit dem Fanggerät an den Uferrand. Gemeinsam mit Maurice
zog er das dunkle Etwas an Land.
»Scheint einer 'ne ganze Menge weggeworfen zu haben«, meinte
Maurice. »Vielleicht die Beute von einem Bankraub? Die letzte Woche hat eine
Bande rund acht Millionen Francs erbeutet. Kein Mensch weiß, wo das Geld
geblieben ist. Wenn wir das Glück hätten ...« Er redete sich plötzlich in Rage.
»Das wäre der Fund unseres Lebens. Die Bank hat zehn Prozent Belohnung
ausgesetzt. Das reicht für uns alle !« Armand wurde
plötzlich übereifrig. Was Maurice da von sich gab, klang nicht mal so übel.
Vielleicht war das Bündel mit Steinen auf dem Grund beschwert gewesen und durch
die Strömung losgerissen worden. Mit dieser Überlegung traf er genau den Nagel
auf den Kopf. Aber das mannsgroße, verschlammte Bündel enthielt ganz etwas
anderes. Armand und die beiden anderen Männer rissen vorsichtig die Plastikhaut
auseinander. Ein Kopf rollte ihnen entgegen, und die weißen Augäpfel Pierre
Trondells starrten sie an.
●
»Eine Leiche? Ohne Kopf? Aus der Seine gefischt ?« Kommissar Seurat war sofort hellwach. Er hatte gehofft, wenigstens heute Nacht
durchschlafen zu können. Aber in der letzten Zeit war der Teufel los. Jede Nacht
passierte etwas anderes. »Pont National? Ich komme sofort. Ich fahre direkt von
hier los. Merci!« Der athletisch gebaute Mann, Endvierziger, sprang federnd aus
dem Bett. Seine junge Frau, Mitte zwanzig, blickte ihm bedauernd nach. »Du
machst dich kaputt, Andre«, sagte sie ernst. »So geht das nicht weiter .«
Andre Seurat zuckte bedauernd die Achseln, während er schon in
Hemd und Hose schlüpfte. »Die Verbrecher halten sich nicht an unsere
Dienststunden, Chérie. Da kann man nichts machen .« Von
seiner Wohnung aus brauchte er genau acht Minuten zur Pont National. Zum Glück
war der Verkehr schwach, sonst hätte es länger gedauert. Als er unten am Wasser
eintraf, war sein Stab schon versammelt. Seurat blickte in verschlafene,
bleiche Gesichter. Die Clochards machten ihre Aussagen.
Seurat ließ Zigaretten verteilen. Er kannte viele Pariser
Clochards persönlich, und es kam ihm darauf an, den Kontakt zu diesen Menschen
aufrechtzuerhalten. Von dieser Seite aus hatte das Kommissariat schon manch
wichtigen Hinweis bekommen. Es lag auf der Hand, dass die Clochards nichts mit
dem Verbrechen zu tun hatten. Die mühselige Kleinarbeit begann. Seurat ließ an
Spuren festhalten, was möglich war. Doch die Ausbeute war minimal. Es gab nur
den Plastiksack und eine Nylonschnur, an der offensichtlich Steine befestigt
gewesen waren. Und es gab den Toten selbst. In den Taschen steckten sogar noch
die Papiere.
»Monsieur Pierre Trondell, Kaufmann. Rue Lafontaine. Na, das ist
schon etwas«, sagte Seurat. Er nahm die persönlichen Utensilien an sich. Dazu
gehörten auch Hausschlüssel und Brieftasche, in der sogar noch die Geldscheine
steckten und das Scheckbuch. Kein kleiner Betrag. Raubmord lag auf den ersten
Blick also nicht vor. Hatte ein Lustmörder diese Tat begangen? Oder ein
Wahnsinniger? Schon, zwölf Stunden später wusste Andre Seurat durch genaue
Laboranalysen mehr. Der Mann, Pierre Trondell, war auf eine besondere Weise
geköpft worden. »Ein solcher Schnitt ist weder mit einem Messer noch mit einem
Beil möglich«, sagte der sachkundige untersuchende Arzt. »Dieser Mann wurde
guillotiniert, daran gibt es keinen Zweifel .«
Aber Guillotinen gab es keine mehr in Paris. »Dann scheint einer
seine eigene kleine
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