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056 - Zielort: Kratersee

056 - Zielort: Kratersee

Titel: 056 - Zielort: Kratersee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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ebenfalls am Boden.
    »Okay!«, rief die jetzt schon verhasste Stimme des Sirs. Pieroo erkannte das Wort, weil Matthew Drax es häufig verwendet hatte. Beide Männer schienen die gleiche Sprache zu sprechen, was vermutlich ihre einzige Gemeinsamkeit war. Den Rest des Satzes verstand er nicht, aber das war auch nicht nötig, denn die Soldaten machten deutlich, dass die Zeit für den Abschied gekommen war. Mit ihren Schlagstöcken trieben sie die Männer vom Zaun weg. Pieroo griff ein letztes Mal nach Samthas Hand. Sie sagte etwas, das er über die Rufe der anderen nicht verstehen konnte.
    »Wa?«, rief er zurück, aber da wurde er bereits in einer Welle aus Körpern hinweggezogen. Pieroo drehte sich um. Samtha stand inmitten des Stammes, den gemeinsamen Sohn auf den Armen. Sie hatte ihn so gedreht, dass er den Platz hinter dem Zaun sehen konnte, und hoffte wohl, dass er das Gesicht seines Vaters nicht vergessen würde. Pieroo wandte sich erst ab, als das Weiße Haus seine Sicht blockierte. Noch nie war ihm ein Abschied so schwer gefallen.
    »Worauf haben wir uns da nur eingelassen?«, fragte Ru'aley neben ihm. Der Krieger war fast so groß wie Pieroo, aber wesentlich weniger muskulös. Seine Haare und der sorgsam gestutzte Bart waren ebenso schwarz wie die Tätowierungen, die seinen Körper von der Stirn bis zu den Füßen bedeckten. Ru'aley war ein stolzer und eitler Mann, der die Dinge meistens schneller durchblickte als Pieroo.
    »Weiß nich. Hamme Bax gezahlt, sin also nich falsch.«
    »Aber sie behandeln uns wie Tiere. Man tötet einen Lupa, der nicht gehorcht, keinen Menschen.«
    Auch die anderen Männer diskutierten untereinander. Pieroo verstand nicht alle Dialekte und Sprachen, aber die Stimmung schien gereizt. Aus den Augenwinkeln sah er, dass die Soldaten, die sie begleiteten, keine Feuerwaffen trugen.
    »Wi sin viel gegn we nich. Wi packense, haun ab un h am die hunnert Bax.«
    In Ru'aleys Gesicht arbeitete es. Er musste längst begriffen haben, dass Sir und seinen Leuten nicht zu trauen war. Wenn ihnen die Flucht gelang, hatten sie nicht nur die Bax, die der Stamm zum Überleben brauchte, sondern auch ihre Fre iheit.
    »Wir müssen den Anfang machen«, flüsterte Ru'aley. »Die anderen werden folgen, sobald sie sehen, was wir vorhaben. Verstehst du?«
    »Jo.« Pieroo sah nach vorne zu der Holzbaracke, auf die sie zugingen. Sie hatte keine Fenster, nur einen Luftabzug im Dach und eine breite, mit Riegeln gesicherte Tür, die gerade von den Soldaten aufgeschlossen wurde.
    »Wi müsse jezz mache! Inner Hütt isses zu spät.«
    Ru'aley nickte. Pieroo ballte die Fäuste und ging schneller, um zu einem der Soldaten aufzuschließen. Er wusste, was er zu tun hatte. Ein Schlag in den Nacken, ein Griff nach dem Stock… den Rest entschieden die Anderen.
    Die begannen vor ihm plötzlich zu johlen und zu rennen. Pieroo reckte sich und sah, dass die Türen der Baracke geöffnet waren. Dahinter befand sich ein langer Tisch, der sich unter Fleischkeulen und Alefässern bog. Betten - ein Luxus, den er nur aus Geschichten kannte - standen an den Wänden, Fellmäntel und Stiefel lagen davor.
    Von einer Sekunde zur anderen war die Stimmung umgeschlagen. Die Männer stürmten in die Baracke, stachen die Alefässer an und begannen sich um das reichlich vorhandene Essen zu prügeln. Pieroo und Ru'aley waren die Letzten, die den Raum betraten, und die Einzigen, die sich umdrehten, als die Tür hinter ihnen verschlossen u nd verriegelt wurde.
    ***
    Drei Wochen zuvor
    Er gab ihnen den Namen »Baummenschen«, weil er nicht wusste, wie sie sich selbst nannten. Seit sechs Tagen lebte Philipp Hollyday in ihrer Obhut, auch wenn er sich nur an den fünften und sechsten erinnern konnte. Er nahm an, dass die Baummenschen ihn gefunden und in ihr Dorf gebracht hatten.
    Vorsichtig setzte er sich auf seinem Mooslager auf. Die Kopfschmerzen waren fast verschwunden und kehrten nur bei unvorsichtigen Bewegungen zurück. Seinen Fuß spürte er auch wieder, aber das Gehen fiel ihm noch schwer. Das führte er jedoch mehr auf die Erschöpfung als auf eine Verletzung zurück.
    Phil stützte die Arme auf die Knie und sah sich um. Die Hütte - wenn man das halbkugelförmige, gerade mal einen Meter hohe Gebilde so bezeichnen wollte - lag im Halbdunkel. Um ihn herum wölbten sich Wände, die aus gewobenen Pflanzenstängeln zu bestehen schienen. Dahinter, auf der Außenseite ertastete er eine Mischung aus Lehm und Moos, die als Isolierung diente. Es gab

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