056 - Zielort: Kratersee
den kräftigen Gefangenen und den Brotlaib. »Du kniest vor mir nieder und schenkst mir das Brot. Dann lasse ich vielleicht Gnade walten.«
Der Mann lachte. »Gnade? Von dir? Ich -«
Smythes rechte Hand, ausgestreckt und hart wie ein Brett, schoss vor. Er spürte den kurzen Widerstand, als der Kehlkopf seines Gegners unter seinen Fingerspitzen zertrümmert wurde. Der Mann griff sich eher überrascht an den Hals, schien nicht zu begreifen, dass er bereits tot war, als er in die Knie brach und krampfhaft um Atem rang. Seine Hand schloss sich um den Brotlaib, hielt ihn Smythe entgegen. In seinen Augen lagen ein Flehen und die Hoffnung, dass dieser Mann ihm das Leben zurückgeben würde.
Smythe nahm das Brot aus seinen Fingern. Er machte sich nicht die Mühe, den Schimmel abzukratzen, sondern biss direkt hinein. Wie ein Verhungernder schlang er die Brocken hinunter, riss die Kruste mit den Zähnen ab und vergrub sein Gesicht in dem harten Teig. Über den Rand des Brots hinweg sah er, wie die beiden mageren Gefangenen wie Ratten zu dem immer noch zuckenden Körper huschten und ihm die Lumpen auszogen. Sie stritten sich nicht, sondern teilten gerecht, was sie fanden. Erst als sie auch den letzten Fetzen Stoff entfernt hatten, begannen sie auf die Leiche einzuschlagen und zu spucken.
Smythe beobachtete sie fasziniert.
Die Rache der Duckmäuser, dachte er und beschloss dieses Bild als Lektion der Vorsehung zu werten. Wer mit absoluter Macht herrschte, mu sste auch alles von sich hingeben.
Nach einigen Minuten ließen die Gefangenen von dem Toten ab und zogen sich in ihre Ecke zurück. Smythe drehte den Brotlaib zwischen den Fingern. Er hatte bereits die Hälfte gegessen und wusste, dass er auch nach der zweit en Hälfte nicht satt sein würde. Mit einem kräftigen Ruck riss er den Rest auseinander und streckte die ungefähr gleich großen Stücke den Gefangenen entgegen.
Die sahen sich an. In ihren Gesichtern las er Verwirrung und Misstrauen, aber auch Gier. Smythe bewegte sich nicht, blieb ruhig sitzen, wie jemand, der auf ein scheues Tier wartet, das ihm zum ersten Mal aus der Hand fressen soll.
Es dauerte eine Weile, doch dann siegte der Hunger und die beiden Gefangenen rutschten auf ihn zu. Zögernd streckten sie die dreckverkrusteten Hände aus, berührten beinahe zaghaft die Brotkrusten.
Smythe stand auf, als sie das Brot in den Fingern hielten und streckte die Arme aus.
»Dies«, sagte er feierlich, »ist mein Leib.«
Die Männer blieben zu seinen Füßen hocken und stopften sich mit beiden Händen die Brotkrumen in den Mund. Ab und zu sah einer von ihnen zu Smythe auf und deutete eine Verbeugung an.
»Ich bin ein guter Herrscher«, flüsterte der, »und ein gütiger Gott.«
Die beiden reagierten nicht, als er ihnen die Hände auf die Köpfe legte und zu sprechen begann. »Ich taufe euch Phobos und Daimos, Furcht und Panik. Ihr seid meine Jünger und ich bin euer Herr.«
Er blieb stehen, hoch aufgerichtet und mit der Würde eines Königs. Hier an diesem dunklen Ort hatte er seine Bestimmung erfahren und den Grundstein für seine Herrschaft gelegt. Der Herr der Welt hatte jetzt ein Volk.
»Scheiße, Jacob, du bist wirklich nicht ganz dicht, oder?«
Smythes Kopf zuckte hoch. Über ihm auf dem Gitter stand eine Gestalt in den Schatten, die er ers t nach einem kurzen Moment erkannte.
»Lieutenant Garrett«, sagte er. »Haben Sie endlich Ihren Fehler begriffen?«
»Pass auf, was du sagst, sonst ist unser Gespräch schneller zu Ende als dir lieb sein kann! Kommst du tatsächlich aus der Vergangenheit, wie dieser Commander Matt Drax?«
Smythe spuckte aus. »Wie dieser hirnlose Kretin Drax, genau. Aber während er in der damaligen Zeit nur ein kleiner Befehlsempfänger war, gehorchten mir schon ganze Legionen von Wissenschaftlern, und sogar der Präsident hörte auf meinen Ratschlag!«
Dieser hirnlose Kretin Drax… Das machte Smythe fast schon sympathisch in Garretts Augen. Der Hass auf Matthew Drax schien sie beide zu verbinden; vielleicht konnte er irgendwann Kapital daraus schlagen.
Smythe schien, seine Gedanken erraten zu haben, denn er hieb in dieselbe Kerbe: »Man muss Drax das Handwerk legen. Der Kerl ist eine Gefahr für die Menschheit und besonders für den Weltrat! Lassen Sie mich frei und ich werde…«
»Darüber sprechen wir später«, unterbrach ihn Garrett. »Zuerst möchte ich dir einen Vorschlag machen…«
***
Zwei Wochen zuvor
Zum ersten Mal in seinem Leben ahnte Philipp Hollyday,
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