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056 - Zielort: Kratersee

056 - Zielort: Kratersee

Titel: 056 - Zielort: Kratersee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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provoziert ihn!«
    Seine Stimme ging im Gesang unter. Phil legte einen Pfeil auf den Bogen und spannte die Sehne, bis das Holz sich weit zurückbog. Angespannt wartete er auf den nächsten Ruf, auf die Rückkehr des Vogels und auf seine Gelegenheit.
    Er bekam sie keine zwei Herzschläge später, als der Vogel am Rand seines Gesichtsfeldes auftauchte. Phil ließ die Sehne los, achtete nicht darauf, ob er getroffen hatte, sondern legte direkt den nächsten Pfeil an und den nächsten.
    Über ihm wurden die Rufe zu panischem Krächzen. Die Schwingen des Vogels streiften die Wipfel, als er versuchte, sich vor den Angriffen in Sicherheit zu bringen. Phil sah die Pfeile, die in seinem Leib steckten, hörte das Blut wie Regen auf die Blätter tropfen und legte erneut an.
    Die Baummenschen schrien und deuteten auf den Vogel. Da sie noch nie einen Bogen gesehen hatten, mussten die Pfeile für sie aus dem Nichts auftauchen. Zwei weitere steckten jetzt in einer Schwinge des Tiers. Es trudelte, schien den Flügel kaum noch bewegen zu können. Dann kippte es zur Seite, suchte Halt mit unterarmlangen Krallen und riss einem Baummenschen den Bauch auf. Ein anderer verlor das Gleichgewicht und stürzte in den Tod.
    Der Flügelschlag des Vogels wurde hektisch und unkoordinierter. Sein enormes Gewicht sorgte dafür, dass er immer mehr Höhe verlor, sich drehte und plötzlich wie ein Stein durch die Baumwipfel schlug.
    Phil duckte sich unter Vogelkot, Ästen und Kokonteilen, die auf ihn herab prasselten. Die Schreie der Baummenschen waren unter dem Bersten des Holzes kaum zu hören.
    Mit einem Krachen schlug der Vogel vor ihm auf. Schnee stob hoch und raubte Phil für einen Moment die Sicht. Als die Flocken sich legten, sah er das Tier vor sich sitzen. Die Krallen scharrten den Boden auf und es versuchte immer wieder die Flügel auszubreiten, aber die eng stehenden Baumstämme ließen das nicht zu. Stattdessen schlug es nur einige Kokons aus den Ästen.
    Phil schoss ihm zwei Pfeile in die Augen. Mit einem beinahe menschlich klingenden Seufzer kippte der Kopf des Vogels nach hinten, dann brach er zusammen. Nur einen Moment la ng hob sich seine Brust noch, bevor auch diese letzte Bewegung endete.
    Ich habs geschafft, dachte Phil und genoss die Erregung, die seinen Körper durchströmte. Die Bestie ist tot.
    Er hob den Bogen hoch in die Luft, schloss die Augen und stieß den Siegesschrei seines Volkes aus, den er als Kind in den Sümpfen vor Waashton gelernt hatte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass auch die Baummenschen aus den Wipfeln zurückgekehrt waren und sich jetzt um den toten Vogel scharten. Niemand sagte etwas.
    Phil blieb unsicher stehen. Einige Männer trugen die beiden Toten zu dem Kadaver und setzten sie auf seinen Rücken. Andere bargen getrocknete Blüten und Federn aus den Trümmern ihrer Hütten und fingen leise singend an, den Vogel damit zu bedecken.
    »Irgendwas lä uft hier schief«, sagte Phil zu sich selbst und vermisste zum ersten Mal seit zwei Wochen Daves Stimme. Lauter rief er: »Leute, ihr solltet froh sein, dass dieses Biest tot ist. Es hätte euch alle umbringen können!«
    Die meisten Baummenschen ignorierten ihn. Nur Atemnot richtete sich auf und ging zu ihm. Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen, als er die Tränen bemerkte, die helle Linien in den Schmutz ihrer Haut gruben.
    »Ich…«
    Atemnot schlug ihm ins Gesicht. Dann wandte sie sich ab und ging zu den anderen.
    Sie hatten keine Angst vor dem Boden, erkannte er viel zu spät. Sie wollten ihn nur nicht betreten, weil der Vogel es nie tat und sie ihm nacheiferten. Ich habe nicht ihre Nemesis getötet, sondern ihren Gott.
    Noch bevor die Sonne unterging, verließ Phil das Dorf.
    ***
    Jed Stuart wusste, dass er zwei Fehler begangen hatte. Der erste war der Griff zur Whiskyflasche, der zweite der Gang zur Kantine und die Konfrontation mit Garrett. Wäre der Lieutenant nicht dort gewesen, hätte er vielleicht nur sein Moralempfinden ertränkt und die Angelegenheit nicht weiter verfolgt.
    Aber ihn dort sitzen zu sehen, mit der arroganten Selbstgefälligkeit, zu der nur wirklich dumme Menschen in der Lage sind, war zu viel gewesen. Aus dieser Wut heraus hatte er Garrett provoziert und sich zu einem Ultimatum hinreißen lassen.
    »Du bist ein Idiot«, sagte Stuart leise, während er durch die Korridore ging. Der Beginn der Expedition war nur noch wenige Stunden entfernt. Er hätte nur warten müssen, bis Garrett verschwand, dann wäre er

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