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056 - Zielort: Kratersee

056 - Zielort: Kratersee

Titel: 056 - Zielort: Kratersee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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was Frieden war. Er saß in der Astgabel eines Baums, den Rücken an den Stamm gelehnt, und gerbte das Fell des Deers, das er einige Tage vorher erlegt hatte. Die Baummenschen beobachteten ihn aus der Entfernung, schienen von dem Vorgang gleichzeitig fasziniert und abgestoßen zu sein. Er bemerkte Atemnot, Weißhaar und einen jungen Mann, den er Dickbauch nannte, zwischen ihnen und winkte. Sie erwiderten die Geste, obwohl Phil nicht glaubte, dass sie die Bedeutung verstanden.
    Vielleicht war es diese Einfachheit, die er so sehr zu schätzen gelernt hatte. Die Kultur der Baummenschen kannte weder Waffen noch Metallbearbeitung. Das kompliziertes te Werkzeug, das er bisher gesehen hatte, war eine Holznadel, mit der man Pflanzenfasern zu Kleidung vernähte.
    Die Jagd auf Tiere schien ebenfalls unbekannt zu sein, denn die Menschen hatten das tote Deer mit großer Überraschung betrachtet. Einige hatten s ich sogar übergeben, als Phil das Fell abzulösen begann.
    Er hatte die letzten Tage mit Streifzügen durch den Wald verbracht, stets auf der Hut vor etwas Unsichtbarem, das im Boden lauerte. Begegnet war ihm jedoch nichts außer dem Deer, das er mit seinem selbstgebauten Bogen erlegen konnte. Auch die Spuren, die er sah, wiesen darauf hin, dass es nur wenig Großwild gab und keine Raubtiere. Weshalb die Baummenschen trotzdem den Boden mieden, blieb unklar.
    Phil bedauerte, dass er mit seinen Rettern nicht reden konnte. Zumindest war ihm durch Zeichensprache und wildes Gestikulieren klar geworden, dass sie den Absturz des Gleiters beobachtet und ihn aus dem Schnee gezogen hatten. Wenn er die Gesten richtig verstand, war Atemnot diejenige, die sich auf den Boden gewagt hatte. Er hoffte, dass sie seinen Dank begriff.
    Sorgfältig überprüfte Phil die Geschmeidigkeit des Fells. Es war nicht nötig, es für die kurze Reise so umfassend zu gerben, und ein Teil von ihm wusste, dass er dabei war, Zeit zu schinden. Dieser Teil wollte nicht zurück nach Waashton, hatte genug von Kampf und Tod, von Befehlen und Opfern. Seit die Pillen Dave McKenzie zum Schweigen gebracht hatten und sein Kopf klar war, dachte Phil an die Dinge, die er in seinem ersten Leben als Pale und in seinem zweiten als Running Man getan hatte, und daran, wie sein weiteres Leben verlaufen sollte.
    Ich könnte hier bleiben, dachte er halb scherzhaft und war überrascht, wie zufrieden ihn der Gedanke stimmte. In diesen Bäumen gab es keinen Weltrat, keine Running Men, noch nicht einmal einen Stammesherrscher. Alle lebten ruhig vor sich hin und gingen ihrer Arbeit nach. Streit gab es kaum, und wenn, wurde er mit Weißhaars Hilfe geschlichtet. Es war die Art Leben, nach der Phil sich gesehnt hatte, ohne es zu ahnen.
    Ein heiserer Ruf riss ihn aus seinen Gedanken.
    Er sah in den Himmel, aber außer den Baumkronen und einigen weißen Wolken war nichts zu sehen. Irritiert bemerkte er, dass die Baummenschen rund um ihn herum aufsprangen und hektisch nach oben kletterten. Eine solc he Neugier hatte er noch nie zuvor bei ihnen bemerkt.
    Der Ruf wiederholte sich, lauter dieses Mal und irgendwie drohender. Die ersten Baummenschen, darunter auch Atemnot, hatten die Wipfel erreicht und hielten sich schwankend daran fest. Sie sahen aus wie Matrosen auf einer Mastspitze.
    Phil zog sich den halbfertigen Fellmantel an und griff nach seinem Bogen und dem Köcher voller Pfeile. Das Leder seiner neuen Schuhe war aufgeraut, sodass er leicht Halt auf den Ästen fand.
    Hoch über ihm begannen die Baummenschen zu singen. Die Melodie drang zu Phil durch, immer wieder unterbrochen von den heiseren Schreien.
    Und dann glitt er über die Wipfel hinweg - ein Schatten, so groß und breit, dass er die Sonne für einen Augenblick verdunkelte. Die Rufe wurden leiser, schwollen nur wenig später wieder an.
    Ein kreisender Vogel, dachte Phil, obwohl das Wort Vogel ihm selbst lächerlich erschien. Was immer dort über ihm kreiste, hatte eine Flügelspannweite von mehreren Metern und nichts mit den Tieren gemein, die auf Märkten in Käfigen verkauft wurden.
    Er zuckte zusammen, als der Schatten mit majestätischer Langsamkeit zurückkehrte. Der Schnabel war so lang wie sein Arm, das Gefieder des Kopfes weiß, der Rest des Körpers braun. Mehrere Menschen hätten bequem auf dem Rücken des Tieres Platz gehabt.
    »Kommt da weg!«, brüllte Phil den Baummenschen entgegen, die immer noch in den Wipfeln hingen. Einige streckten die Arme aus, als hofften sie den Vogel berühren zu können. »Ihr

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