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057 - Das Gespensterschloß

057 - Das Gespensterschloß

Titel: 057 - Das Gespensterschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Randa
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Derais offene Schuhe mit Silberschnallen, seine Beine in den ebenfalls schwarzen Strümpfen sind wohlgeformt.
    „Meine Kleidung dürfte Sie verwundern“, sagt er ohne zu lächeln, aber mit einer gewissen Ungezwungenheit. „Morgen werde ich mich so kleiden, wie es Ihrem Geschmack entspricht. Ich muß mich daran gewöhnen.“
    Er mustert sie noch einmal, dann sagt er: „Therese, bringen Sie uns zu trinken.“
     

     
    Ein gutartiger Halbverrückter, denkt Bernard. Einer jener Männer, die in der Vergangenheit leben und eine Rolle einstudiert haben.
    Aber das ist es nicht allein, Gilbert Derais ergänzt das Ungereimte seines Verhaltens durch eine übertriebene Neigung, sich mit Mystik zu umgeben, das Geheimnisvolle zu nutzen, um den Eindruck der Zurückhaltung zu erwecken. Was ist das für eine rätselhafte Geschichte mit seinem Bruder? Tristan? Heutzutage heißt man nicht mehr Tristan.
    Alles ist absonderlich, anormal. Die Alte ebenso wie Wilhelm … die Hunde … und das jähe Gefühl, daß die Stätte sich durch das Licht verjüngt hat. Das Gefühl natürlich nur, denn die Stätte hat sich nicht verändert, sie war so, man hat es nur nicht bemerkt.
    Simone betrachtet den seltsamen Schloßherrn mit angespannter Neugier, Marthe tut es mit mehr Gelassenheit. Jacques, der eigentlich immer einen klaren Kopf behält, ist am meisten aus der Fassung gebracht.
    Die Alte bedient sie. Völlig geräuschlos, wie ein Schatten, huscht sie über die Fliesen.
    „Werden wir das Vergnügen haben, Ihren Bruder zu sehen?“ fragt Bernard.
    Derais lächelt höhnisch. Sein Gesicht scheint sich in die Länge zu ziehen und zugleich eine merkwürdige Unruhe auszustrahlen.
    „Ich glaube nicht.“
    „Warum?“
    Marthe ist das Wort entfahren. Derais wendet sich ihr zu: „Ich begegne ihm nie. Wir sind zerstritten. Das heißt, wir leben, ohne Notiz voneinander zu nehmen … schon sehr lange. Es ist besser, Tristan nicht zu begegnen.“
    Er erhebt sein Glas. Plötzlich hat er es sichtlich eilig, die Küche zu verlassen.
    „Ich werde Sie in Ihre Zimmer führen. Sind Sie … verheiratet?“
    „Jawohl“, erklärt Simone.
    Marthe packt Bernards Arm und drückt ihn heftig: „Jawohl.“
    Bernard lächelt amüsiert. Marthe wirft ihm einen beschwörenden Blick zu. Schön, er wird schweigen, und schließlich ist die Situation ja auch gar nicht unangenehm. Möglicherweise ist das die Gelegenheit, ein Gefühl endgültig zu festigen, das in ihm aufgekeimt ist, seitdem sie einander regelmäßig begegnen.
    Derais steht auf.
    „Wollen Sie mir bitte folgen.“
    Er streckt die Hand aus, und Wilhelm bringt ihm den Leuchter, den er bei seiner Ankunft getragen hatte. Dann schreitet er auf die Treppe zu, gemessen, feierlich, ohne sich darum zu kümmern, ob man ihm folgt oder nicht. Riesenhaft zeichnet sich sein Schatten an der Wand ab. Den Leuchter hält er hoch über seinem Kopf, damit er möglichst viel Licht verbreitet.
    Die beiden Frauen gehen dicht hinter ihm, Jacques und Bernard folgen.
    „Träumen wir oder ist es Wirklichkeit?“ fragt der Ingenieur.
    „Wir träumen.“
    Warum nicht? Die Treppe – breite Stufen aus schwarzem, gewachstem Holz. Keine Spur von Abnutzung, von Vernachlässigung, ganz entgegen dem ersten Eindruck, den sie alle vier gehabt hatten.
    Es ist, als habe sich das Schloß mit einem Zauberschlag verwandelt, zumindest das Innere des Schlosses.
    „Wir träumen.“
    Bernard bestätigt es abermals, ganz leise, und dennoch hört es Derais. Er hält inne, wendet sich um und lacht auf: „Nein, Sie träumen nicht, das wäre allzu einfach. Der Traum ist Teil Ihres Erlebens, aber nicht auf der gleichen Ebene.“
    „Wie meinen Sie das? Erklären Sie es“, sagt Simone.
    „Das läßt sich nicht erklären.“
    Den jungen Mann plagt etwas anderes, er fragt: „Sie haben gehört, was ich sagte?“
    „Nein, geahnt. Ich ahne immer, was ich wissen muß. Allmählich werden Sie mich besser kennenlernen.“
    Er geht weiter, besser kennenlernen. Morgen machen wir uns schleunigst davon, und wenn es stürmt. Er ist ja ganz freundlich, dieser Alte, aber er wirkt doch reichlich unheimlich! Bernard möchte reagieren, abschütteln – aber was? Eine Zwangsvorstellung? Seine Gefährten sind in der gleichen Verfassung. Simone denkt: Wenn man es nur rückgängig machen könnte, und Marthe bedauert, daß es ihr an Mut fehlt, ihre Angst einzugestehen.
    Inzwischen sind sie in einen neuen Flur gelangt, der breiter und weniger düster ist als jener, durch

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