057 - Das Gespensterschloß
Dach.“
„Und wie ist es mit dem Aufwachen?“ fragt Jacques.
Der Schloßherr scheint verwundert, leicht verblüfft, er zögert einen Augenblick. „Natürlich … für Sie ist das Aufwachen von Bedeutung, ich dachte nicht daran. Ich wache so selten auf.“
So selten? Was meint er damit? So schwer, vielleicht? Das ist auch nicht logischer. Er fährt fort: „Ich werde es Therese sagen. Haben Sie sich für eine bestimmte Zeit entschieden?“
„Wir möchten am frühen Morgen aufbrechen. Bei Morgengrauen.“
„Oh, in diesem Fall …“
Mit einer begleitenden Handbewegung scheint er sagen zu wollen: ‚Wenn es bei Morgengrauen ist, lohnt es gar nicht, darüber zu reden.’
„Werden wir Sie vor unserem Aufbruch noch sehen?“
Sie sind sicher, daß er es verneinen wird, und dennoch erklärt Derais: „Aber gewiß!“
Die Vorstellung, sie nicht noch einmal zu sehen, belustigt ihn, fast so, als handle es sich um etwas Unausdenkbares.
„Gute Nacht“, sagt Jacques. Er nimmt Simone beim Arm, und beide gehen in ihr Zimmer. Bernard ist ein wenig verwundert über diesen plötzlichen Entschluß. Es sieht so aus, als habe der Ingenieur kurzen Prozeß machen wollen. Derais steht lächelnd da.
„Gute Nacht.“
Wenn er doch gehen wollte! Aber nein, er bleibt mitten im Flur stehen. Bernard sagt zögernd: „Bis morgen.“
Marthe geht ins Zimmer, Bernard folgt ihr und schließt die Tür. Derais hat sich noch nicht von der Stelle gerührt. Plötzlich hört man das Geräusch seiner Schritte.
„Horch!“ ruft Marthe.
Als er durch den Flur gegangen war, hatte man sie nicht gehört, und jetzt widerhallten sie deutlich auf den Fliesen. Allmählich wird das Geräusch schwächer. Derais muß jetzt sehr weit weg sein. Da ertönt ein teuflisches Gelächter, ein Gelächter, das sich schallend durch den ganzen Gang fortpflanzt, und dieses Gelächter gleicht einer zuschnappenden Falle.
Marthe packt Bernard beim Arm.
„Horch!“
„Ja … er spinnt, dieser Bursche, weiter nichts.“
„Ich habe Angst.“
„Wir werden die Tür abschließen, notfalls schieben wir einen Sessel unter die Klinke.“
„Du wirst schlafen.“
„Na sicher!“
„Ich bestimmt nicht.“
Bernard weiß genau, daß er es auch nicht tun wird, aber er sucht die junge Frau zu beruhigen. Bei ihm ist es nicht die Angst, sondern die Nervenanspannung. Die Angst kann er bezwingen.
„Weißt du, die Nacht geht schnell vorbei. Morgen lachen wir tüchtig darüber, daß wir uns so unsinnig beunruhigt haben.“
„Fühlst du dich denn wohl hier?“
Er lächelt: „Offen gestanden, nein. Dieser komische alte Kauz hat es fertiggebracht, mich zu beunruhigen, aber ich wehre mich dagegen.“
Neugierig hebt er den Leuchter über seinen Kopf, um den Raum zu inspizieren, und er stößt einen bewundernden Pfiff aus. Das Zimmer ist luxuriös eingerichtet. Selbst die altertümlichen Möbel stören nicht, denn alles ist vollkommen.
Ein breites Baldachinbett in der Mitte, davor ein Eisbärfell. Eine alte Truhe, eine Kommode, gegenüber ein venezianischer Frisiertisch, dessen Spiegel zur Hälfte von einem Schleier aus blauem Tüll verhüllt ist. Ein Tischchen, drei Lehnstühle, ein ledergepolsterter Hocker. An den Wänden zwei Bilder, die man nicht genau erkennen kann. Rechts ein hoher Kamin, in dem Holz aufgeschichtet ist. Ein paar Kissen bedecken den Boden vor der Feuerstelle.
„Man kommt sich vor wie bei einer Kokotte von ehedem, aber alles sieht so neu aus.“
Neu, als sei das Zimmer eben erst eingerichtet worden, als sei es immer bewohnt gewesen. Und doch muß das alles über hundert Jahre alt sein.
„Zünd’ die andern Leuchter an, Bernard.“
Überall stehen sie herum: auf dem Tisch, auf dem Hocker, an den Wänden zu beiden Seiten der Bilder. Nachdem die Kerzen angezündet sind, erwacht das Zimmer zu strahlendem Leben.
„Wie schön!“ sagt Marthe.
Ihre Angst schwindet, sie schaut sich bewundernd um. Jetzt sind die Bilder klar zu erkennen. Beide stellen ein und dasselbe weibliche Wesen dar, das eine als junges Mädchen, das andere als Frau. Sie sind ausgesprochen schön. Insbesondere das Mädchen mit seinem sanften, frischen Gesicht und dem entwaffnend schamhaften Blick. Die Frau wirkt selbstsicher, gefährlich, verlangend, ihr Lächeln hat etwas Beunruhigendes.
Bernard kommt nicht los von dem reinen Gesicht des jungen Mädchens. Marthe muß ihn in die Wirklichkeit zurückrufen, indem sie sich beklagt: „Mir ist kalt.“
Er geht zum
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