057 - Die Tochter des Werwolfs
aufschlussreich. Wir müssen auf jeden Fall in Verbindung bleiben, Herr Becker. Es wäre auch gut, wenn ich den Mann von der Kripo direkt erreichen könnte.«
Becker nannte Dorian einen Namen – Kriminalinspektor Neureuter – und eine Durchwahlnummer ins Präsidium. Er gab Dorian noch drei Telefonnummern, unter denen er ihn, Professor Becker, jederzeit erreichen konnte.
Dorian bedankte sich und wählte die Nummer Bernd Sommers.
Beim fünften Läuten wurde abgehoben. Gisela Sommer meldete sich. Sie holte Trevor Sullivan an den Apparat. Der war überrascht. Dorian merkte, dass er die Sprechmuschel zuhielt und mit der Frau redete, die im Zimmer war.
Es dauerte lange, bis er sich wieder meldete. Dorian wurde ungeduldig.
»Was ist denn nun, Trevor?«, fragte er, als er ihn endlich wieder am Apparat hatte.
»Ich weiß nun alles. Ich rufe in etwa einer halben Stunde zurück. So viel vorab: Der Werwolf von Frankfurt ist Jürgen Henicke. Er ist durch eine Blutübertragung Bernd Sommers zum Lykanthropen geworden. Er muss unter allen Umständen zur Strecke gebracht werden. Bernd Sommer ist hier im Keller sicher angekettet. Ich sehe jetzt nach ihm.«
Er legte auf, Dorian hörte das Besetztzeichen im Hörer. Sein Blick fiel auf die Uhr an der Wand. Es war achtzehn Uhr und schon fast dunkel. Der Vollmond stand klar und leuchtend am wolkengesäumten Himmel, der Mond des Lykanthropen.
Coco fragte: »Was ist, Dorian?«
»Wir haben es mit zwei Werwölfen zu tun. Ich hoffe, dass Trevor sich nicht zu viel zugemutet hat. Sonst werden schreckliche Dinge geschehen.«
Gisela Sommer war nun zum letzten Teil ihrer Erzählung gekommen. Sie schilderte Trevor, wie ihre Tochter Petra das Abitur bestanden hatte. Petra ließ sich an der Frankfurter Goethe-Universität einschreiben. Sie wollte Pharmazie studieren. Von ihrem ursprünglichen Studienwunsch – Tiermedizin – war sie abgekommen.
Trevor Sullivan erfuhr, was sich dann zugetragen hatte.
Petra Sommer lernte Jürgen Henicke in einer Sachsenhausener Diskothek kennen.
Dem großen blonden Mann gefiel die bildschöne junge Frau mit den schwarzen Haaren und den blauen Augen. Er forderte sie zum Tanz auf. Henicke merkte, dass er ein junges, unerfahrenes Ding vor sich hatte.
Der Zuhälter kannte alle Tricks und Schliche. Er war zynisch und brutal, aber von der weiblichen Psyche verstand er mehr, als die meisten Männer je im Leben lernen würden.
Er lud Petra zu einem Champagnerflip an die Bar ein und zahlte mit einem Hundertmarkschein.
»Der Rest ist Trinkgeld.«
Petra riss die Augen auf.
»Sind Sie verrückt? Geben Sie immer solche Trinkgelder?«
Henicke lächelte. Er trug einen weißen Blazer, ein schwarzes Hemd und eine weiße Krawatte. Er hatte gerade einige Wochen Urlaub in Kitzbühel gemacht und war braun gebrannt.
Seine weißen Zähne blitzten.
»Dass ich dich kennen gelernt habe, ist ein Geschenk der Glücksgöttin, Petra. Dafür revanchiere ich mich mit dem hohen Trinkgeld. Es ist eine Art Geste, genauso wie die alten Römer bei ihren Gelagen den ersten Schluck aus dem Weinbecher den Göttern opferten und ausgossen.«
Henickes Art imponierte Petra, auch wenn sie sich zunächst dagegen sträubte. »Ich muss jetzt zu meinen Freunden zurück.«
Er hielt ihren Arm fest. Die Diskothek war laut, überfüllt und verräuchert.
»Wir müssen uns wieder sehen. Wo kann ich dich erreichen?«
»Ich studiere an der Uni. Vielleicht treffen wir uns mal irgendwo wieder, so groß ist Frankfurt nicht.«
Als Petra an ihren Tisch zurückkehrte, sagte ein Studienkollege, ein Langhaariger mit Bart und Nickelbrille: »Lass die Finger von dem! Das ist Jürgen Henicke, der größte Zuhälter von Frankfurt. Der hat schon dutzendweise Mädchen versaut.«
»Ich kann sehr gut auf mich aufpassen.«
Als Petra ging, hob Henicke, der noch immer an der Bar saß, sein Glas zum Toast.
Zwei Tage später kreuzte Henicke im Studentenwohnheim auf.
Er hatte einiges über sie in Erfahrung gebracht. Er fuhr mit einem schnittigen Lotus-Sportwagen vor. Der Notsitz war mit roten Rosen überladen.
Henicke ging zu Petra aufs Zimmer, einen Teil der Rosenpracht in der Hand. Sie warf ihn hinaus, aber das störte ihn nicht. Lachend legte er die Rosen vor ihre Tür.
Am nächsten Tag rief er Petra aus einer Vorlesung … unter dem Vorwand, er sei ein naher Verwandter, ließ er sie ans Telefon kommen.
»Wann sehen wir uns wieder?«, fragte er.
»Niemals!«, sagte Petra und knallte den Hörer auf die
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