057 - Im Banne des Unheimlichen
Wache.«
»Gibt es unter den Fahrgästen verdächtige Individuen?«
»Das läßt sich schwer sagen«, meinte Bullott. »Da es in der ersten und zweiten Klasse nicht weniger als elfhundert gutgekleidete Fahrgäste gibt, ist es schon möglich, daß sich etliche darunter finden, die nicht gerade lupenrein sind. Wie auf jeder Linie arbeiten einige Falschspieler auf dem Schiff, aber das soll die Sorge der Schiffspolizei sein, für uns sind diese Leute vollkommen ungefährlich.«
Bill sah sich ein wenig auf dem Schiff um, das heißt, vor allem forschte er nach Betty, bekam sie aber nirgends zu Gesicht.
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Lambert Stones begeisterte Beschreibung des Dampfers war nicht übertrieben gewesen. Die ›Escorial‹ war das luxuriöseste Schiff, das je den Ozean befahren hatte. Die viel gebrauchte Bezeichnung ›schwimmender Palast‹ hatte seine volle Berechtigung. Alles war vorhanden, die modernsten Einrichtungen, ein säulengeschmücktes Schwimmbad, zehn elektrische Aufzüge von einem Deck zum andern, Salons, Spiel- und Sporthallen, ein riesiger Gesellschaftsraum mit prachtvollen Gobelins.
Viele der neuen Fahrgäste hatten ihre Liegestühle auf dem geräumigen Deck ausfindig gemacht, da das Hornsignal zum Abendessen noch nicht erfolgt war.
Im Rauchsalon stieß Bill auf Lord Lowbridge, der es sich auf einem Ecksofa bequem gemacht hatte.
»Was für eine angenehme Überraschung, Mr. Holbrook! Wann sind Sie an Bord gekommen? Ich habe Sie in Southampton nicht gesehen. Sie waren doch nicht etwa der Verrückte, der mit einem Flugzeug in Cherbourg ankam?« »Doch, das war ich.«
»Ich habe Sie beim Niedergehen beobachtet und mich gewundert, daß Sie nicht ertrunken sind. Was gibt es Neues in London? Haben Sie etwas von Laffin gehört?«
»Ich sah ihn gestern abend, und die Folge war, daß ich die Nacht in der Zelle einer Polizeiwache verbringen und ein halbes Pfund Buße zahlen mußte, weil ich einem Polizisten unters Kinn boxte.«
Clive stellte keine weiteren Fragen.
»Ich kann fast nicht glauben«, meinte er ernst, »daß Laffin solch ein Lump ist. Ich bin froh, wegzukommen und mit der Sache nichts mehr zu tun zu haben. Ich mag nicht einmal daran denken. Anscheinend glaubt nur noch Benson an den Doktor.«
»Benson? Meinen Sie Ihren Diener?«
»Ja, ich habe ihn mitgenommen. Er wollte mich nicht verlassen, bot mir sogar an, die Fahrkarte selbst zu bezahlen. Ich bin eigentlich froh, ihn bei mir zu haben, denn ich bin nicht sehr seefest.«
»Benson glaubt an Laffin?«
Clive zuckte die Achseln.
»Benson ist ein Mann von bewundernswerter Zurückhaltung in der Beurteilung von Menschen. Er meint, daß niemand ganz so schwarz sei, wie er gemalt wird.«
Er warf einen prüfenden Blick auf Holbrooks Anzug. Wie gewöhnlich war die Kleidung des Reporters etwas merkwürdig zusammengestellt. Als Bill sich dieser Musterung bewußt wurde, sagte er lachend:
»Sie werden sich an diese Ausrüstung gewöhnen müssen, Lord Lowbridge! Ich habe keine Kleider mitgebracht. Mein Gepäck ist auf dem Flugzeug geblieben.«
Doch kaum war Bill in seiner Kabine angelangt, kam ihm unerwartet Bullott zu Hilfe. Er brachte ihm einen Abendanzug, den er, wie er sagte, nicht zu tragen beabsichtige. Bill fand, daß er ihm vorzüglich paßte. Außerdem hatte Bullott einen überraschend großen Vorrat an Wäsche.
»Ich werde nicht zu den Mahlzeiten erscheinen, sondern essen, wann es mir beliebt«, wehrte er ab, als Bill sich sträubte, ihn seines Anzuges zu berauben. »Regelmäßige Mahlzeiten schaden meiner Gesundheit.«
Während Bill sich anzog, brachte ihm der Steward einen Brief von Mr. Stone, worin ihn dieser aufforderte, die Mahlzeiten an seinem Tisch einzunehmen. Als er dann in die wundervolle weiße Halle kam, die allem anderen eher als einem Speisesaal auf einem Schiff glich, und vom schönsten Mädchen der Welt mit einem Lächeln begrüßt wurde, war er Bullott doppelt dankbar, daß er es ihm ermöglicht hatte, anständig gekleidet erscheinen zu können. Er hatte Betty noch nie in einem Abendkleid gesehen. Ihr Anblick raubte ihm den Atem. Sie wies ihm den leeren Platz an ihrer Seite an.
»Schön, daß Sie doch noch gekommen sind, Mr. Holbrook! Und, nicht wahr, Sie werden mit mir nicht über Dr. Laffin sprechen?«
Sie unterhielten sich während des Essens über die Leute an Bord. Auf dem Schiff reisten ein heimkehrender Botschafter, drei bekannte Schriftsteller und ein Hollywoodstar.
»Und außerdem gibt es noch fünfundzwanzig Millionäre«,
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