057 - Im Banne des Unheimlichen
unbedingt. Es wird sich allerhand ereignen.‹
Die Mitteilung trug weder Datum noch Unterschrift und war in höchster Eile mit Bleistift hingeworfen worden. Sollte Bullott wissen, daß der hohe Beamte des Finanzministeriums aus der Schule geschwatzt hatte und daß die ›Escorial‹ fünfzig Millionen Dollar in Noten mitführte? In Bills Kopf drehte sich alles. Er setzte sich hin und versuchte folgerichtig zu denken.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war elf. Daß am Samstag um diese Zeit niemand in der Redaktion sein würde, war ihm klar, aber er wußte, wie er den Herausgeber erreichen konnte, und fünf Minuten später hatte er ihn schon am Telefon. Er berichtete ihm alles, was sich zugetragen hatte. Der Verleger kam zu einem raschen Entschluß.
»Ich bestelle durch Funkspruch einen Platz auf der ›Escorial‹ für Sie. Wann geht denn der Dampfer in See?«
»Um Mittag - in weniger als einer Stunde.«
»Dann müssen Sie ihm einfach nachfliegen. Nehmen Sie ein Auto für die Fahrt nach Southampton. Ich werde die Luftreederei verständigen, daß sie dort eine Maschine zum Flug nach Cherbourg bereithält. Die ›Escorial‹ wird Cherbourg nicht vor sechs Uhr abends verlassen, so daß Sie sie noch ganz gut erreichen können. Haben Sie übrigens Geld genug?«
»Das nicht, Sir«, antwortete Bill sofort.
»Gut, dann werde ich Ihnen den Kassierer mit einem Reisevorschuß nachsenden. Er wird sie beim Flugplatz erwarten.«
Bill hängte den Hörer ein, stürzte in sein Zimmer und packte ein, was ihm in die Hände kam, während die Haushälterin ein Taxi holen ging.
Um halb drei Uhr kam er in Southampton an, wo er erfuhr, daß die ›Escorial‹ den Hafen fahrplanmäßig um Mittag verlassen hatte und um sechs Uhr abends in Cherbourg einlaufen werde. Er brauchte lange, um den Ankerplatz für Wasserflugzeuge zu finden. Der Kassierer wartete bereits auf ihn. Es war fast fünf Uhr, als er die kleine Maschine bestieg, die sich sofort in Bewegung setzte, um nach kurzem Anlauf die Wasserfläche zu verlassen und sich steil emporzuschrauben. Der Flug ging anfangs glatt vonstatten. Aber auf halbem Weg versagte die Zündung, so daß der Pilot gezwungen war, niederzugehen, was bei der ruhigen See keine Schwierigkeiten bereitete. Es dauerte immerhin eine halbe Stunde, bis der Fehler behoben war. Schließlich erhob sich das Flugzeug wieder in die Lüfte, und um halb sieben Uhr sichteten sie die Küste Frankreichs, bald darauf auch den mächtigen Rumpf der ›Escorial‹ mit den vier riesigen Schloten. Schon aus der Luft erkannte Bill jedoch, daß der Dampfer im Begriff war, auszulaufen. Im Sturzflug ging die Maschine nieder, um wenige Meter vom Schiff entfernt aufzusetzen. Das Fallreep wurde bereits gehievt, doch lag noch ein kleiner Schlepper längsseits.
Bill schwang sich auf den Schwimmkörper des Flugzeugs und erklomm mit Mühe den Schlepper. An Bord des Dampfers hatte man ihn offenbar erwartet, denn es wurde sogleich eine Jakobsleiter herabgelassen. Er kletterte vorsichtig die entsetzlich schwankende Strickleiter hinauf zum Promenadendeck, wo er von hilfreichen Seemannshänden an Bord gezogen wurde.
Erst als er auf Deck stand, fiel ihm ein, daß er sein ganzes Gepäck auf dem Flugzeug gelassen hatte, aber das Bewußtsein, auf dem gleichen Schiff mit Betty zu sein, entschädigte ihn für jeden materiellen Verlust.
»Das haben Sie gut gemacht!«
Bill blickte sich um und ergriff Bullotts Hand.
»Der Zahlmeister sagte mir, daß Sie durch Funkspruch eine Kabine bestellt hätten, aber wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben, daß Sie uns erreichen würden.«
Sie gingen zusammen ins Büro des Zahlmeisters, wo Bill seine Fahrkarte in Empfang nahm. Man wies ihm eine kleine Kabine auf einem der oberen Decks an. Ausführlicher, als es sonst seine Art war, erzählte er dann die Geschichte von La Florettes Besuch und seinem Mißgeschick.
»Sind Sie überzeugt, daß es Laffin war?«
»Vollkommen. Ich erkannte ihn trotz des Bartes.«
Bullott zog an seiner Zigarre und blickte vor sich hin.
»Das Geld ist übrigens wirklich an Bord und der Kapitän und seine Offiziere wissen, daß möglicherweise ein Überfall geplant ist.«
»Ist der Raum schwer zugänglich?« fragte Bill.
»Nein. Das heißt, der eigentliche Tresorraum befindet sich unten im Schiffsaum. Aber da es sich um Papiergeld handelt, hält man den Kassenraum in der Wohnung des Zahlmeisters für den besten Aufbewahrungsort. Dort steht Tag und Nacht ein Doppelposten
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