057 - Im Banne des Unheimlichen
berichtete Betty. »Onkel Stone hat sie in der Passagierliste gezählt.«
Doch Millionäre hatten Bill Holbrook noch nie sonderlich beeindruckt. Er sah sich in dem großen Speisesaal um. An jedem Tisch glitzerten Edelsteine. Die See war ruhig und jeder Stuhl besetzt, denn alle Passagiere hatten ihren Stolz dareingesetzt, am ersten Abend im Speisesaal zu erscheinen.
Nach dem Abendessen blieb Bill selbstverständlich an Bettys Seite. Er fuhr mit ihr zum obersten Deck hinauf. Sie musterte ihn mit einem fraulichkritischen Blick.
»Sie sind besser angezogen denn je!«
»Aus einem guten Grund.« Bill lachte. »Ich trage den Anzug eines anderen Mannes! An Bord kam ich nur mit dem, was ich gerade anhatte. Aber fürchten Sie nichts, ich werde Ihnen keine Schande machen - das heißt, wenn Bullott es sich nicht doch noch anders überlegt.«
»Ich habe ihn, seit ich an Bord bin, nicht gesehen. Warum fährt er eigentlich nach Amerika?«
»Warum sollte er nicht?«
»Aber warum fährt er gerade mit diesem Schiff? Ich dachte, er wäre mit - mit jenem schrecklichen Mord beschäftigt. Ist die Geschichte eigentlich wahr, die Sie mir beim Dinner erzählten? Ich meine Ihren Kampf mit dem Mann im Park und Ihre Verhaftung?«
»Vollkommen wahr.«
»Wer war der Mann?«
»Ein Bekannter von mir«, versuchte Bill auszuweichen.
»Aber es muß jemand gewesen sein, den Sie hassen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie sich ohne Grund in eine Rauferei einlassen. War es der Doktor?«
Er nickte.
Sie lehnten sich an die Reling und starrten in das phosporeszierende Wasser.
»Seit ich auf dem Schiff bin, habe ich das schreckliche Gefühl, verfolgt zu werden«, sagte sie endlich. »Ich weiß nicht, warum, aber ich muß mich immer umsehen, ob er nicht hinter mir steht.«
»Hier auf diesem Schiff?«
»Sie kennen Laffin nicht, wie ich ihn kenne. Sie wissen nicht, wie boshaft und tollkühn er sein kann. Ich glaube wirklich, daß er auf dem Schiff ist.«
»Über diesen Punkt kann ich Sie beruhigen - Bullott hat sich jeden an Bord gehenden Passagier angesehen, der Doktor war nicht darunter.«
Sobald Bill es über sich brachte, sich von ihr zu trennen, ging er auf die Suche nach Bullott. Er fand ihn in seiner Kabine beim Studium der Passagierliste.
»Nun?« fragte er, als Holbrook eintrat.
»Miss Stone glaubt, daß der Doktor an Bord ist.«
Bullott legte die Liste weg, nahm die Brille ab und steckte sie in seine Westentasche, bevor er antwortete.
»Vielleicht hat sie recht!«
»Hier auf dem Schiff? Er wird doch kein Narr sein!«
»Das weiß ich nicht. Es klingt verrückt, nicht wahr? Doch auf diesem Schiff ist man sicherer als in London.« Bullott fuhr sich seufzend mit den Fingern durch sein spärliches Haar. »Der Tag, an dem ich diesen Fall übernahm, war für mich ein Unglückstag! Holbrook, ich bin blamiert - wenigstens wenn ...«
»Wenn was?« fragte Bill.
»Wenn ich den alten Laffin an Bord dieses Schiffes nicht finde.«
Bill setzte sich hastig auf das Sofa und starrte seinen Freund an.
»Meinen Sie im Ernst, daß Laffin hier ist?«
»Vielleicht ist er noch nicht hier, aber er wird kommen.
Wie er das anstellen wird, ahne ich allerdings nicht.«
Bill warf einen Blick auf die Uhr. Zu seiner Überraschung sah er, daß es schon elf war. Noch nie war ihm ein Abend so schnell vergangen. Er schlenderte noch ein Weilchen mit Bullott auf Deck auf und ab. Dann ging er zu Bett, griff nach einem Buch und versuchte zu lesen, ohne jedoch den Sinn erfassen zu können, denn seine Gedanken beschäftigten sich unablässig mit Laffin, Betty Stone, mit Revierzellen, dunklen Priorien und vermummten Mönchen.
Schließlich drehte er das Licht aus und lag noch eine Zeitlang wach. Dann mußte er, auf dem Rücken liegend, doch eingeschlafen sein, denn er erwachte schwer atmend und setzte sich im Bett auf. Er hörte ein Geräusch - es war, als drücke jemand auf die Türklinke.
Vor dem Zubettgehen hatte er eine Stablampe in Reichweite gelegt. Er streckte die Hand danach aus, ergriff sie und ließ, als das Geräusch sich wiederholte, den Lichtstrahl aufblitzen.
Die Tür stand offen ... Das Licht fiel auf ein gelbes, boshaftes Gesicht - das Gesicht Joshua Laffins!
Im Nu war Bill auf den Beinen. Der kleine Seitengang, in dem seine Kabine lag, war leer, und auch im langen Korridor konnte er niemanden entdecken. Er kehrte um, schaltete bei sich das Licht ein und stellte Beobachtungen an. Seiner Kabinentür gegenüber befand sich eine andere. Er
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