057 - Sanatorium der Cyborgs
sollen?
Daryll gab sich schweigsam auf dem Weg durch verlassene Flure, vorbei an schwarz glitzernden Ölpfützen, in denen sich der Staub von Jahrhunderten zu einer schmierigen Masse band. Und auch die drei Freunde stellten keine Fragen. Erst mussten sie sich in Ruhe beraten.
Sie erreichten die Quartiere. Und wurden erneut positiv überrascht. Matt hatte schon befürchtet, auf einem Metallblock schlafen und statt Wasser eine Ölkanne benutzen zu mü ssen.
Doch die drei nebeneinander gelegenen Zimmer, die Daryll ihnen zuwies, konnte man durchaus als wohnlich bezeichnen. Sogar Betten standen darin. Außerdem waren sie durch Zwischentüren miteinander verbunden. Perfekt.
»Ist euer Verdauungssystem organisch oder bionisch?«, fragte Daryll zum Abschied.
Und als sie alle drei Ersteres bejahten, fuhr sie fort: »Dann lasse ich jetzt das Begrüßungsmahl vorbereiten. Dabei könnt ihr über euer Schicksal berichten und lernt die Regeln dieser Einrichtung kennen.« Sie lächelte freundlich, und ihr Blick blieb für eine Sekunde an Aiko hängen. »Ich freue mich, mehr über euch zu erfahren. Ihr werdet abgeholt, in genau zwei Komma drei fünf Stunden.«
Damit schloss sie die Stahltür vor sich. Sie waren allein.
»War doch gar kein schlechter Start«, meinte Matt. Er blinzelte Aiko zu. »Und an dir scheint sie sogar interessiert.«
Aiko brummte etwas in seinen imaginären Bart. Er ärgerte sich, dass er nicht forscher aufgetreten war, sondern gehemmt wie ein Pennäler. Sonst war er beim weiblichen Geschlecht weniger zurückhaltend. Aber dies war immerhin eine Cyborg - jemand, mit dem ihn mehr verband als mit jeder menschlichen Frau. Und eine verdammt hübsche Cyborg noch dazu…
»Wir sollten bei unserer ›Tarnung‹ bleiben«, wechselte Matt das Thema. »Aruula und ich zumindest. Solange uns Daryll ebenfalls für Cyborgs hält, wird sie ungezwungen reden. So erfahren wir, was hier vorgeht.«
»Es scheint aber alles in Ordnung zu sein«, warf die Barbarin ein. »Wenn es so bleibt, können wir bald wieder aufbrechen. Zu dumm, dass ich sie nicht belauschen konnte.«
Aiko blickte nicht gerade fröhlich drein. Natürlich wusste er, dass die Mission vorging.
Trotzdem…
»Ich bin dann in meinem Raum«, sagte er, »und schlafe ein wenig. Sehen wir uns in zwei Stunden?«
Noch bevor Matt »Okay« sagen konnte, war die Zwischentür hinter ihm zugefallen.
***
Neuzugänge! Endlich!
Daryll war freudig erregt. Seit fast acht Jahren hatte es keinen Nachschub aus der Klinik bei El'ay mehr gegeben. Was, wenn diese drei nur die Ersten einer neuen Welle waren?
Auf alle Fälle würde sie ihre Macht über die noch Ahnungslosen bis zur Neige ausko24 sten. Es würde herrlich sein, zunächst ein Netz aus Freundlichkeit zu weben - und dann all ihre Hoffnungen langsam zerbrechen zu sehen.
Sie öffnete den Sekretär und starrte auf den sich drehenden Chip zwischen den beiden Magnetpolen.
Ja, es würde wieder so sein wie damals! Endlich würde sie ihre Funktion wieder voll erfüllen, anstatt diese jämmerliche Bande von hinfälligen Schrottgestalten in Zucht und Ordnung zu halten. Sie hatte es satt, das Leid und die Qual immer wieder auf den gleichen Gesichtern zu sehen - wenn es überhaupt Gesichter waren und keine verrosteten Metallfratzen.
Ihre ursprüngliche Funktion… wie damals… damals…
... als sie sich abrupt umwendet und Ruttger fixiert. »Was meinst du mit Unregelmäßigkeiten ?«
Ihr Assistent mit dem schadhaften Hüft- und Fußgelenk hebt in einer imitierten menschlichen Geste die Schultern. »Haanks Programmierung scheint bei ihm nicht zu greifen. Vielleicht sind die entsprechenden Bereiche seines Speichers fehlerhaft. Jedenfalls redet er dauernd von Widerstand und Flucht. Und jetzt hat er einen der Cyborgs aus Block B angegriffen und beschädigt.«
Daryll zieht den Saum ihrer grauen Uniformjacke stramm. In ihrem Gesicht spiegelt sich Besorgnis. »Dem müssen wir entgegenwirken«, sagt sie. »Ist eine Neuprogrammierung möglich?«
»Ich fürchte, der Fehler liegt im P-Chip«, entgegnet Ruttger. »Wir müssten ihn ganz entfernen.«
Der Schrecken auf Darylls Zügen überdeckt die Sorge. »Und ihn seiner Persönlichkeit berauben? Haben wir dazu das Recht?«
Ruttger lässt ein Seufzen hören. Manchmal übertreibt er seine Bemühungen, menschlich zu wirken. Vor allem hier im Sanatorium ist ein solches Verhalten ohne Belang. Aber natürlich hat auch er - wie alle hier - die Hoffnung, eines Tages zurückzukehren.
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