057 - Schreckensmahl
die
Zeit, meine Geschichte anzuhören?
Ich bin nicht verrückt. Und ich bin auch kein Mörder.
Aber das versteht niemand. Ich fange selbst langsam an, zu zweifeln.
Zu lange schon bin ich hier in dieser weißen Zelle. Und
wenn ich schreie, gegen die Wände renne und trommele – dann kommt niemand. Sie
halten es für einen »normalen« Vorgang, für einen Tobsuchtsanfall, der wieder
vorübergeht. Nur wenn ich es zu toll treibe, dann schicken Sie Joe, einen
Pfleger, zu mir herein, der mich dann in eine Zwangsjacke steckt.
Sie sind verrückt hier – nicht ich. Mein größter Fehler
war es gewesen, die Wahrheit zu erzählen.
Und begonnen hat das ganze vor einem halben Jahr …
Das Telefon schlug an. Ich hob den Hörer ab. »Hallo?«
»Kann ich nochmal kurz zu dir rüberkommen, Dave?« fragte
mich Patrick Dolan, ein Freund, der nur zwei Straßenecken weiter wohnte. Ich
warf einen Blick auf die Uhr. Wenige Minuten nach neun. Es war ein kühler
Herbstabend. Ich saß vor dem Kamin, blätterte in einem Magazin und trank einen
Scotch. Damenbesuch hatte ich heute abend keinen. Brenda hatte abgesagt, und es
war zu spät gewesen, Janet noch Bescheid zu sagen.
»Okay, komm, wenn du Lust hast. Ich bin allein.
Es ist ziemlich langweilig hier. Außer einem Drink und
einem Magazin mit nackten Mädchen kann ich dir nicht viel bieten.«
»Mir reicht es schon, wenn ich mit dir ein paar Worte
wechseln kann.«
Seine Stimme klang aufgeregt. Ich hatte ihn nie zuvor so
reden hören.
Patrick war ein seltsamer Kauz. Wir kannten uns erst seit
ein paar Wochen, aber irgendwie war da durch Zufall eine Freundschaft
zustandegekommen, die mich selbst verwunderte.
Dolan hatte am Rande einer Landstraße gestanden und den
Autos zugewunken. Er wollte mitgenommen werden. Ich kam zufällig des Weges
daher und fragte ihn, wohin er wollte.
»Nach Barnstaple.«
»Dann haben wir ja den gleichen Weg«, erklärte ich.
Während der Fahrt nach dort erfuhr ich von Dolan, daß er
erst seit ein paar Tagen in Barnstaple lebe, und zwar in einem Hotel. Als ich
die Bude später zu sehen bekam, fragte ich mich, woher dieser Bursche soviel
Geld hatte, um sich wochenlang im besten Hotel der Stadt verpflegen zu lassen.
Dolan war reich. Er war Alleinerbe eines riesenhaften
Vermögens, das man nur noch schätzen konnte. Aktienbesitz auf dem Kontinent und
in Übersee,
Besitzer einer Kaffeeplantage in Guatemala, Mitinhaber
verschiedener Kettenläden, die allein jährlich mehrere Millionen Pfund Umsatz
machten.
Patrick war ein bescheidener und einfacher Bursche
geblieben. Er kleidete sich nicht übermäßig verrückt, hatte keinen Spleen –
nun, über das letztere konnte man streiten. Vielleicht hatte er doch einen. Er
war auf der Suche nach »seiner Vergangenheit«. Ja, wirklich. Er wollte wissen,
wer eigentlich alles seine Vorfahren gewesen waren, und er hatte schon eine
Menge Geld dafür ausgegeben, um seinen Stammbaum zu vervollständigen.
Als ich Patrick zufällig am Straßenrand auflas (sein
eigener Wagen, ein einfacher Morris, hatte ihn im Stich gelassen, aber inzwischen
hatte er das Auto wieder in Schuß), da waren wir uns gleich vom ersten
Augenblick an sympathisch. Wir sind etwa gleich alt. Er vierundzwanzig, ich
fünfundzwanzig.
Nun, Dolan machte kein Hehl mir gegenüber, weshalb er
sich ausgerechnet in so einer gottverlassenen Gegend wie in Devon aufhielt.
London war doch da – gerade für seine Verhältnisse –
ein ganz anderes Pflaster. Ich stamme aus London. Meine
Anwesenheit in Barnstaple hatte einen besonderen Grund: Ich wollte hier die
Landschaft ein wenig studieren, die Menschen, das Milieu. Hier in dieser
Moorgegend ist alles anders als in London. Ich bin Maler, müssen Sie wissen.
Keiner von der modernen Sorte, obwohl ich noch so jung
bin.
Der Naturalismus hat es mir angetan. Wenn ich mir so die
alten Holländer und die alten Franzosen in der National Gallery in London
betrachte, dann hatte ich immer nur den einen Wunsch: So müßte man malen
können. Hier in der Moorlandschaft von Devon und Cornwall hoffte ich, ein paar
gute Arbeiten zu Ende zu bringen. Zahlreiche Studien lagen auf meinem
Arbeitstisch und mehrere angefangene Aquarelle und Ölbilder befanden sich oben
in der Dachkammer, die mir als Atelier diente.
Ich hatte die Hälfte der Wohnung einer alleinstehenden
älteren Dame übernommen, die mir die Zimmer für einen verhältnismäßig günstigen
Preis überlassen hatte und für das Dachstübchen praktisch nichts
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