0572 - Terror der Vogelmenschen
Provokation wollte. »Bleib nur stehen, Iris!« flüsterte ich. »Tu um Himmels willen nichts Falsches. Versprichst du mir das?«
Sie nickte nur.
Monty Heller stand noch immer an der Tür, schaute nach rechts und links. Er tat es dabei so ruckartig wie die Vögel, wenn sie Ausschau nach Nahrung hielten.
Die suchte er bestimmt nicht. Wahrscheinlich wollte er die Lage zunächst sondieren. Möglicherweise war ihm auch aufgefallen, daß Suko in diesem kleinen Reigen fehlte.
Dann bewegte er sich!
Monty ging einen Schritt, nur konnte man es nicht als normales Gehen bezeichnen, es war mehr ein Hüpfen, das ihn über die Schwelle brachte.
Seine Zwitterstellung zwischen Mensch und Vogel machte sich auch bei ihm bemerkbar.
Die Arme waren bei ihm noch nicht zu Flügeln geworden. Nahezu bittend streckte er sie uns entgegen. Obwohl der meiste Teil des Gesichts mit Federn bewachsen war, glaubte ich, die Qual erkennen zu können, die sich auf den Zügen abzeichnete.
Auch Iris spürte dies. »Er fühlt sich nicht wohl«, flüsterte sie. »Ich glaube sogar, daß er Angst hat.«
»Das kann sein.«
»Was will er dann?«
»Bitte, sei ruhig.« Ich hatte gesehen, daß Monty Heller Anstalten traf, reden zu wollen. Sein Bart mit dem Gefieder bewegte sich, als er den Mund öffnete.
Dann hörten wir seine ersten Worte. Stockend gesprochen, mehr ein Krächzen, als würde sich ein Rabe oder eine Elster bemerkbar machen. Wir hatten Mühe, ihn zu verstehen.
»Komm!« stieß er hervor. »Bitte, komm mit… du mußt mit mir kommen. Ich … ich bitte dich …«
Das Mädchen nickte, tat aber nichts, um der Aufforderung zu gehorchen.
Er »hüpfte« noch weiter. »Sie… sie wollen uns … wollen uns haben. Ich weiß es. Ich war in der Pyramide. Wir beide sollen Opfer werden, sie haben es so beschlossen, und die Versammlung wird zustimmen. Wenn wir es nicht tun, werden die Vogelmenschen alle töten, auch uns. Das … das mußt du mir glauben.«
Iris senkte den Kopf. Ich hörte, daß sie zu weinen anfing und fand keine tröstenden Worte.
»Soll ich?« schluchzte sie.
»Jaaa…«
Monty hatte die Antwort gegeben und dabei seinen Kopf zurückgedrückt. Seine Augen wirkten doppelt so groß wie normal. Mir kamen sie vor, als wären sie mit einer Glasschicht belegt worden.
»Was soll ich tun, John?«
Eine gute Frage, sogar eine Gewissensfrage. Riet ich ihr zu bleiben, gerieten zahlreiche Menschen in Lebensgefahr, denn ich ging einfach davon aus, daß die Vogelmenschen nicht blufften. Was sie sich einmal vorgenommen hatten, führten sie auch durch.
Zudem dachte ich an den Eisernen Engel, der uns Rückendeckung versprochen hatte. Bisher hatte uns dieser außergewöhnliche Freund nicht enttäuscht, einmal abgesehen von seiner schrecklichen Zeit, die er bei Serena verbracht hatte.
Ich legte ihr meine linke Hand gegen den Rücken. »Geh bitte, Iris. Geh mit ihm!«
Ihr Kopf ruckte nach rechts. »Meinst du das wirklich?«
»So ist es.«
»Aber wenn sie mich…«
»Nichts mehr, Iris. Bitte, sag nichts mehr! Okay?«
»Ja.« Sie schaute mir tief in die Augen. Nicht weil sie etwa in mich verliebt war, nein, sie wollte darin entdecken, ob sie hoffen konnte.
Sie sah mein zuversichtliches Lächeln, das von einem langsamen Nicken begleitet wurde.
Dann ging sie auf Monty Heller zu, der noch immer seine Arme vorgestreckt hatte.
Er faßte sie an.
Auch Iris berührte ihn. Ihre Hände glitten über das Gefieder, das auch durch die Lücken der Kleidung quoll. Dann streichelte sie sein Gesicht, die Hände, den Kopf, sogar den Bart ließ sie nicht aus. Ich hörte ihre optimistischen Worte. »Bestimmt werden wir es schaffen, Monty, bestimmt. Dann… dann kann uns nichts mehr trennen.«
Er umarmte Iris, wobei ich hoffte, daß er es auch ehrlich mit dem Mädchen meinte und nicht schauspielerte.
Iris schaute mich nicht mehr an, als sie ging. Sie ließ sich aus dem kleinen Haus führen und drehte sich selbst auf der Schwelle nicht mehr um.
Die Tür blieb offen.
Natürlich würde auch ich nicht im Haus bleiben. Wenn es zu einer Entscheidung kam, dann im Freien und hoffentlich mit dem Eisernen Engel als Verstärkung…
***
Suko überkam der Eindruck, ins Leere zu schreiten. Es war die Insel, über die er ging. Er schritt auch über einen festen Boden, trotzdem dachte er an Seifenblasen, die unter seinen Füßen festklebten und deren Hülle dermaßen stark war, daß sie bei jedem Schritt nachfederte.
Er konnte selbst nicht sagen, woher dieses Gefühl
Weitere Kostenlose Bücher