0573 - Der uralte Henker
wollte wie er sein, nein, ich wollte sogar mehr. Ich war fest entschlossen, die Hölle zu übernehmen. Seine Herrschaft sollte auf mich übergehen, das habe ich mir geschworen, und es war tatsächlich so, daß ich den Weg in die Tiefen der Hölle finden konnte. Ich stellte mich zum Kampf, der Satan gewann, doch der Spuk befreite mich.« Lorenzo nickte dem verräterischen Mönch zu. »War es bei dir das gleiche?«
»Ja. Henker. Nur mit einem Unterschied. Ich bin nicht so vermessen, den Teufel stürzen zu wollen. Im Gegenteil, ich gehöre zu ihm, ich werde ihm dienen und zur Seite stehen. Ich werde dieses Kloster zu einem Stützpunkt der Hölle machen. Eigentlich müßte ich dir dafür danken, daß du den Abt getötet hast. Der Weg für die Kräfte der Hölle ist deshalb frei! Es ist wunderbar, es hätte einfach nicht besser laufen können, glaub mir.«
»Du hast dich geirrt, Mönch. Ich hatte lange Jahre Zeit, mir alles genau zu überlegen. Jetzt, wo ich den Weg endlich bis zum Ende gegangen bin, trete ich keinen Schritt zurück. Ich werde mir die Maske holen, denn sie gehört mir.«
»Nie!«
Die Antwort hatte entschlossen geklungen. Ich konnte mir gut vorstellen, daß Ricardo es auf einen Kampf mit dem Henker ankommen lassen würde. Er gehörte zu denjenigen, die alles zerstörten, wenn es um seine Ziele ging.
Was sollte ich dabei tun?
Abwarten und Tee trinken. Wenn zwei sich streiten, freut sich meistens der Dritte. Ich konnte von derartigen Auseinandersetzungen nur profitieren, denn unbedingt scharf auf einen Kampf war ich nicht, denn ich sah mich trotz meiner gefährlichen Arbeit noch immer als einen friedlichen Menschen.
»Komm her!« lockte Ricardo. »Los, Henker, komm zu mir und hol dir die Maske!«
Er nickte. So heftig hatte ich ihn bisher noch nicht reagieren sehen.
Es war eine entschlossene Geste, ein wildes Zeichen, sich nicht zurückdrängen zu lassen.
Und er kam.
Wuchtig setzte er den ersten Schritt, als wollte er seinen Fuß in den Boden rammen. Der zweite folgte, der dritte; er ging wie jemand, den man aufgezogen hatte und in dessen Innern die Mechanik ablief.
Der verräterische Mönch ließ ihn kommen. Mit einer beinahe schon bewundernswerten Gelassenheit schaute er ihm aus den Augenschlitzen der Maske entgegen.
Eine Waffe sah ich nicht an ihm. Möglicherweise steckte sie unter der Kutte. Doch er zeigte keine Regung, um sie zu ziehen. Die Arme hingen beiderseits seines Körpers nach unten, als würden sie überhaupt nicht zu ihm gehören.
Dieser Mensch fühlte sich einfach sagenhaft sicher!
Der Henker interessierte sich auch nicht mehr für mich. Er hatte mich einfach vergessen.
Noch besaß ich Zeit genug, um mir die Umgebung anzuschauen.
Für mich war die dritte Kraft wichtig, der Spuk.
Ich entdeckte ihn nicht. Ihn schien die ganze Sache nichts mehr anzugehen.
Der Henker schwang seinen rechten Arm im Kreis. Es sah so aus, als wollte er ihn locken. Zusammen mit dem Arm schlug auch das lange Schwert einen Bogen und berührte, wenn es in die Tiefe fiel, mit seiner Spitze den Boden.
Ricardo hatte bisher neben den Bäumen gestanden und sich förmlich in den Schatten ihrer Zweige und Äste hineingeduckt. Als der Henker nahe genug herangekommen war, verließ er die Deckung und ging auf die Mitte der Lichtung zu.
Da wollte er ihn erwarten.
Lorenzo lachte. Er war sich seiner Sache ungemein sicher. Weit holte er aus. Es sah so aus, als würde er den Mönch mit einem Schlag der Klinge von oben nach unten in zwei Hälften sprengen wollen, doch kurz zuvor veränderte er die Richtung seines Schwerts und ließ sie waagerecht und in Halshöhe durch die Luft pfeifen.
Das genau war seine Spezialität. Als Henker hatte er es gelernt, den Delinquenten zu köpfen.
Meine Nackenhaut zog sich zusammen, als ich den Weg der Klinge verfolgte. Seltsamerweise bekam ich keine Angst um die Person des Mönchs. Seine Ruhe übertrug sich auch irgendwie auf mich.
Geköpft?
Nein!
Bevor die breite Klinge den Kopf vom Körper trennen konnte, bekam sie einen heftigen Schlag. Eine harte, brutale Gegenreaktion, die den Schlag stoppte.
Ich hörte den Henker schreien. Das Schwert wurde von dieser Kraft in einem scharfen Winkel in die Höhe gerissen und dem Henker fast noch aus der Hand geschleudert.
Daß er es überhaupt festhalten konnte, glich einem kleinen Wunder. Er mußte die andere Hand zu Hilfe nehmen. Die Wucht des Schwertes wirbelte auch ihn um die eigene Achse. Dabei hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu
Weitere Kostenlose Bücher