0573 - Der uralte Henker
das ist alles möglich.«
»Nein, nie, ich…« Lorenzo war dermaßen überrascht, daß er nicht weitersprechen konnte.
Ich aber konzentrierte mich auf die gegenüberliegende Seite der Lichtung, weil ich dort eine Bewegung gesehen hatte.
Etwas war erschienen.
Eine Gestalt?
Jedenfalls bewegte sich das Unterholz, jedoch nicht vom Wind, denn der war doch so gut wie eingeschlafen.
Ein Mensch schob sich hervor. Er war bisher gebückt gegangen, nun richtete er sich auf, und ich konnte ihn direkt anschauen.
Nein, der hatte kein Gesicht! Der Henker hatte nach der Maske gesucht und sie nicht gefunden. Er konnte sie nicht finden, weil der andere sie trug. Er war ihm tatsächlich zuvorgekommen!
***
Die Maske besaß eine gewisse Kraft. Ob dämonisch oder nicht, das war nicht genau zu sagen, jedenfalls strahlte sie ein fahlgrünes und leicht ins gelbliche hineingehende Leuchten ab.
Sie besaß die Form eines Schilds, das nach unten spitz zulief. In der oberen Hälfte, wo sie ziemlich breit war und sich auch so etwas wie eine Stirn andeutete, drängten sich die Augen zusammen. Dicht darunter befand sich die dicke Nase, die wie ein Klumpen aussah.
Ich konnte mir nicht helfen, aber ich wurde einfach das Gefühl nicht los, die Person, die die Maske trug, zu kennen. Ich hatte sie schon gesehen, dies nicht vor allzu langer Zeit.
Die Maske lenkte durch ihr Leuchten von seiner eigentlichen Gestalt ab. Er trug einen langen Mantel, der fast bis zum Boden reichte.
Wie er dastand, wirkte er wie eine Gestalt aus dem Horror-Kabinett.
Irgendwie paßte er zu dem Henker, nur ich fühlte mich zwischen den beiden fehl am Platz.
Auch Lorenzo hatte etwas bemerkt. Die Gestalt mit der Maske stand links von ihm. Wenn er sie anschauen wollte, mußte er sich drehen.
Er kam mir vor wie jemand, der sich nicht zu trauen schien. Ich wollte die Sache forcieren und rief: »Die Maske ist da, Henker, nur hat sie jemand anderer.«
Lorenzo bewegte sich, jedoch langsam, als stünde er unter Druck.
Sein Schwert hatte er sinken lassen. Die Klingenspitze schleifte über den Boden und kappte einige Grashalme.
Dann schauten sich die beiden an.
Für einen Moment stand der Henker unbeweglich. Plötzlich aber raste ein Zittern durch seinen Körper, als hätte er einen heftigen Schlag erhalten.
»Du!« brüllte er die Gestalt an. »Du… du hast die Maske an dich genommen – du!«
»Ja, ich habe sie auch!«
Hinter der Maske klang die Stimme fremd. Trotzdem hatte ich sie identifizieren können.
Mich traf fast der Schlag, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Die Stimme gehörte dem stellvertretenden Abt des Klosters, einem Mönch namens Ricardo…
***
Er mußte wohl gemerkt haben, welches Licht mir aufgegangen war, denn er lachte mich hinter seiner Maske an. »Nun, Geisterjäger, bist du überrascht?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Ich nicht. Aber ich will dir sagen, Geisterjäger, nicht jeder, der sich hinter Klostermauern versteckt, ist auch ein Mönch. Das war früher so, das ist auch heute so. Ich habe mich in das Kloster hineingemogelt, denn ich wußte durch meine Studien, daß es hier etwas gab, das mir Macht und Einfluß verleihen konnte. Jahrelang hat sich niemand um das Relikt des Teufels gekümmert, es ist in Vergessenheit geraten, bis ich kam und es wieder hervorholte.«
»Was hast du davon, Ricardo? Zeigt dir die Maske tatsächlich den Weg in die Hölle?«
»Ja.«
»Dann geh vor!« rief ich.
»So einfach ist es nicht, das wird auch Lorenzo wissen. Man muß sie aufsetzen, eine Beschwörung sprechen, um anschließend bestimmte Dinge sehen zu können.«
»Welche?«
»Wege in die Hölle. Derjenige, der die Maske aufgesetzt hat, dem werden die Wege aufgezeigt. Nur er kann sehen, wie sich die Hölle öffnet. Frag Lorenzo.«
»Stimmt das, Henker?«
»Ja, er hat recht. Die Maske ist wichtig. Sie ist uralt. Keiner weiß, woher sie stammt, schon damals nicht. Einige behaupteten, daß der Satan sie persönlich hergestellt haben soll, um seinen treuen Diener damit zu belohnen. Das hat mich nicht interessiert, mir kam es einzig und allein auf die Maske an. Ich habe sie auf meinen Reisen durch das Land gefunden und wußte sofort, was ich damit anfangen mußte. Ich spürte ihre Magie, und es war wunderbar. Ich setzte sie zum erstenmal auf, daran kann ich mich noch erinnern. Plötzlich hatte ich Kontakt zum Teufel. Ich spürte ihn in mir. Schon immer habe ich ihn beneidet wegen seiner ungebrochenen Machtfülle. Er war einfach herrlich. Ich
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