0573 - Der uralte Henker
Die buschigen, dichten, dunklen Augenbrauen in seinem Gesicht zogen sich zusammen.
Ein schlimmes Zeichen bei ihm.
Und so ging er vor.
Die Flammen schnappten nach ihm wie gierige Mäuler. Plötzlich wurden sie zu einer neuen Kleidung, die an ihm hochglitt und über seinem Kopf mit dem langen, wilden, fettigen Haar zusammenschlug.
Lorenzo wunderte sich darüber, wie einfach es für ihn war, durch das Feuer zu schreiten. Möglicherweise hatten selbst die Flammen Furcht vor ihm bekommen, weil sie spürten, daß hier jemand gekommen war, der es mit dem Höllenherrscher aufnehmen konnte.
Die Wand aus Höllenfeuer war nicht sehr tief. Nach wenigen Schritten schon hatte er sie hinter sich gelassen und blieb dort stehen, wo sich unter ihm nur die tiefe Schwärze befand.
Kein Boden, nichts, an dem er sich festhalten konnte. Nur eben die Schwärze, die so lichtlos war, daß man sie kaum beschreiben konnte.
»Sataaannn…?« Lorenzo geriet in Rage. Er schüttelte den Kopf, er war wütend, haßerfüllt und zornig, und er kam sich von dem Teufel im Stich gelassen vor.
Wieder verhallte sein Ruf, doch diesmal blieb er nicht ohne Antwort. Lorenzo bekam sie auf eine Art und Weise, die er nicht einkalkuliert hatte.
Irgendwo unter ihm in einer Tiefe, die nicht auslotbar war, entstand ein Rumoren. Es war ein unheimlicher, ferner, dennoch nah klingender Donner, der die Umgebung erzittern ließ, Lorenzo aber nicht schrecken konnte. Er lachte sogar in dieses Geräusch hinein.
»Hast du gehustet, Satan?« höhnte er.
Der Donner vergrollte. Aber er hatte etwas mitgebracht. Hervorgeschleudert worden war aus der Tiefe eine Gestalt des Schreckens, die sich vor dem Henker manifestierte.
Der Teufel!
Lorenzo, den so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte, erschrak diesmal.
Wie Menschen sich den Teufel vorstellten, das wußte er: als bocksbeinigen, gehörten Gesellen. Eine lächerliche und gleichzeitig furchtbare Gestalt, aber in diesem Fall erschien er wieder anders. Er war nicht mehr als ein grauer Streifen in der absoluten Finsternis.
Langgestreckt, zu vergleichen mit einer Fahne. Hinzu kam ein Schädel, in dem zwei Augen wie das Feuer der Hölle leuchteten. Rot, gelb und grün.
Darunter sah Lorenzo nicht einmal ein Maul, und der Körper, falls er überhaupt vorhanden war, verschwamm in der Dunkelheit.
»Du hast mich gerufen, Henker?« Natürlich kannte der Teufel seine Pappenheimer. Er wußte genau, wen er vor sich hatte.
Lorenzo mußte seine Überraschung erst verdauen. Er strich durch das lange Haar, dann hatte er sich wieder gefangen. »Ja, Satan, ich habe dich gerufen, und es hat lange, sehr lange gedauert, bis du dich gezeigt hast. Ich glaube, du weißt, wer gekommen ist. Du hast Angst vor mir?«
Der Teufel überlegte nicht lange, bevor er eine Antwort gab. »Hat der Höllenherrscher jemals Angst vor denen gehabt, die ihm gleich sein wollen?«
»Jetzt wirst du Angst haben!«
Das Gesicht mit den glühenden Augen dicht vor dem Henker bewegte sich zuckend. »Weshalb sollte ich es?« Dampf stand vor dem Maul, der widerlich stank, als lägen verweste Leichen in der Nähe.
»Weil ich dich ablösen will!«
»Du?«
»Ja, Satan. Ich habe beschlossen, daß auf der Erde kein Platz mehr für mich ist. Ich werde deshalb das Reich verlassen und eine blutige Spur in der Hölle ziehen, deren Herrschaft ich zu übernehmen denke. Ich will die Hölle beherrschen, und ich werde sie beherrschen. Du wirst mich nicht daran hindern.«
»Dazu müßtest du mich vernichten!«
»Deshalb bin ich erschienen!«
Der Teufel erwiderte nichts. Er lachte nur. Es war ein hartes, ein grollendes und gleichzeitig gewaltiges Lachen, das dem Henker entgegengeschleudert wurde. »Nein, du Mensch, du! So etwas habe ich noch nie erlebt. Gut, du hast den Weg zu mir gefunden, was nicht jedem gelingt, aber du kannst mich nicht verdrängen! Die Hölle ist nicht begreifbar. Was du hier siehst, ist nur ein Teil davon, ein kleiner Ausschnitt. Sie ist überall, in deiner Seele ebenso wie in der Tiefe oder in der Höhe und auch in den Reichen zwischen den Welten. Ich weiß, daß du mir stets ein treuer Diener gewesen bist. Ich habe zahlreiche Seelen von dir bekommen, denn nicht alle, die du geköpft hast, waren unschuldig. Es befanden sich viele Schuldige darunter. Deren Seelen habe ich an mich reißen und mich und mein Reich somit stärken können. Aber ich begreife nicht, daß du, Lorenzo, so wahnsinnig bist und mich vernichten willst. Noch lebst du – noch.
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