0574 - Der chinesische Tod
Zeit verrann.
Schließlich, es waren Stunden vergangen, schaffte sie es, wieder normal und logisch zu denken. Sie erinnerte sich an die zahlreichen Gespräche, die sie mit ihrer Tochter geführt hatte, und auch daran, daß aus Osas Mund einmal ein bestimmter Name gefallen war.
Der Name eines Landsmannes, der ebenfalls in London wohnte, allerdings etwas besonderes war.
Ein Polizist…
Verzweifelt dachte sie darüber nach, wie der Mann wohl heißen konnte. Osa hatte fest daran geglaubt, daß er seinen Landsleuten helfen würde, wenn diese mal in Schwierigkeiten steckten.
»Wie hieß er nur noch?«
Plötzlich hatte sie es. Eine blitzartige Idee. Der Mann war Inspektor bei Scotland Yard.
Suko!
Wenn ihr jemand helfen konnte, dann er. Und Man Lei beschloß, sich mit ihm in Verbindung zu setzen…
***
Lieber wäre Suko mit seinem Freund John Sinclair nach Italien geflogen, um dort einen gefährlichen Henker zu jagen, aber die Stimme der Frau hatte sich so ängstlich angehört, daß er diesen Fall vergaß und John allein fliegen ließ. [1]
Suko blieb in London und machte einen Termin aus. In die Wohnung der Man Lei hatte er nicht kommen sollen. Sie fühlte sich zu stark unter Kontrolle und Beobachtung. Deshalb hatte sie ihn gebeten, sich auf relativ neutralem Boden zu treffen – in einem China-Restaurant mit den Namen PEKING.
Suko kannte das Lokal. Es gehörte zu den größeren in der Stadt und lag im Südosten von London, in einem Viertel, wo zahlreiche Farbige wohnten, die in den letzten beiden Jahren Angst um eben diese ihre Wohnungen bekommen hatten, weil Häuser abgerissen werden sollten, damit ein neues Viertel entstehen konnte.
Natürlich nur für begüterte Menschen. Was mit den anderen geschah, ließ die Grundstückshaie kalt. Aber noch war es nicht soweit, denn es gab genügend Proteste und Gegenstimmen, auch aus den Reihen der verantwortlichen Weißen.
Suko hatte darauf verzichtet, mit seinem BMW zu fahren. Wenn er den Wagen unbewacht abstellte, ging er ein sehr großes Risiko ein.
Deshalb war er mit der U-Bahn gefahren, zum Ziel zu Fuß gegangen. Über dem Eingang zum Restaurant stand der Name des Hauses in lateinischen und chinesischen Schriftzeichen – als Leuchtbuchstaben.
Der Inspektor warf einen Blick durch die viereckigen Ausschnitte der Fenster. Dahinter brannte ein gelbliches Licht. Sehr weich floß es aus den mit Seidenschirmen bedeckten Lampen.
Suko ließ zwei männlichen Gästen den Vortritt, die ihm die polierten Messingtüren aufhielten. Der Reihe nach gingen sie durch eine schmale Lücke zwischen zwei Vorhängen, betraten dann das geräumige Restaurant. Es war wirklich groß, doch hatte es der Besitzer oder wer immer verstanden, ihm die wartesaalartige Atmosphäre zu nehmen, indem er es in zwei Ebenen unterteilte.
In der unteren befanden sich die lange Theke mit den Getränken und dahinter drei Türen, die allesamt in die große Küche führten.
Zwei Männer standen hinter der Theke. Sie grüßten höflich, als sie Suko sahen. Aus einer Ecke löste sich ein Mann im schwarzen Anzug. Sein öligglattes Haar fiel auf. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte einen Tisch haben.«
»Noch ist die freie Auswahl.« Suko nickte. Er blickte über den Knaben hinweg. Zur oberen Ebene führten drei Stufen hoch. Der große Platz selbst wurde durch ein rötlich schimmerndes Geländer eingegrenzt. »Dort oben würde ich gern sitzen.«
»Bitte sehr.« Der Geschniegelte deutete an, daß Suko vorgehen sollte.
Wenige Gäste verteilten sich an den Tischen. Manche aßen, andere waren mit dem Studium der umfangreichen Speisekarte beschäftigt.
Suko entschied sich für einen Tisch am Geländer. Von diesem Ort aus hatte er einen guten Überblick und konnte auch zum Eingang hinsehen, denn das hatte die Frau, deren Beschreibung er telefonisch erfahren hatte, noch nicht entdeckt.
Man Lei mußte noch kommen. Zudem war Suko zehn Minuten zu früh am Ort. »Den Tisch haben Sie gut gewählt. Ich hätte Ihnen keinen besseren empfehlen können. Einen Reiswein auf Kosten des Hauses?«
»Ja, danke.«
»Er wird sofort kommen, der Herr.«
Ein junges Mädchen mit Pagenschnitt servierte ihn lächelnd. Suko war ein Freund dieses Getränks. Er schlürfte es aus der Schale.
Zwei Speisekarten ließ er sich ebenfalls bringen, schaute in die erste hinein und überflog nur die Vielzahl der angepriesenen Gerichte.
Er wußte sowieso, was er essen wollte.
Zunächst einen Salat aus Bambussprossen mit
Weitere Kostenlose Bücher