0574 - Der chinesische Tod
versickerte. Schaumbläschen erschienen vor seinem Mund, gefärbt vom Blut.
Tiau war tot!
Ich richtete mich sehr langsam auf. In meinem Innern herrschte ein Gefühl, daß ich kaum beschreiben konnte. Die letzen Minuten waren durch Gewalt gezeichnet worden, eine schreckliche Tatsache, die mir auf den Magen geschlagen war.
Mit dem Handrücken wischte ich über die Stirn. Der Schweiß machte meine Finger naß.
Ich drehte mich um, als ich merkte, daß der Vorhang zur Seite geschoben wurde.
Jemand trat durch den Spalt. Meine Augen weiteten sich, denn ich glaubte an eine Halluzination.
»Shao…?«
Sie lächelte. »Ja, du hast dich nicht geirrt. Ich bin es und nicht mein Geist.«
Mein Blick streifte den Toten, in dessen Brust der Pfeil noch steckte. »Dann hast du ihn…«
Sie ließ mich nicht aussprechen. »So ist es, John. Ich konnte nicht anders, ich mußte ein anderes Leben retten. Es tut mir wirklich leid. Ich hätte es auch gern anders gehabt.«
»Ja, das stimmt.«
Sie hatte den Vorhang nicht wieder zurückfallen lassen, mit einer Hand hielt sie ihn offen.
»Komm mit, John!«
Ich folgte ihr.
Zwei Menschen hockten am Boden und lehnten sich mit den Rücken gegen die Wand. Ich kannte beide.
Der eine war Suko, die andere Osa.
Mit beiden Händen massierte sie ihren Hals, wo sich ein blauroter Streifen abzeichnete.
Ich nickte ihr zu. »Noch immer sauer auf die Polizei, Osa?«
Sie wollte mir eine Antwort geben, dazu war sie nicht mehr in der Lage. Nur mehr ein Krächzen drang aus ihrem Mund, das war alles.
»Und ich?« fragte Suko. »Mich begrüßt du nicht? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Alter.«
Da hatte er mehr als recht.
Ich streckte ihm meine Hand entgegen. Als ich Suko in die Höhe zog, stöhnte er auf. »Verdammt, ich komme mir vor wie jemand, dem man jetzt erst das Laufen beibringt. Schau dir das Ding hinter mir an. Das war der Sarg, in dem man mich verbrennen wollte.« Er deutete zudem gegen die Decke. »Dieser Drache dort spie das Feuer.«
»Jetzt nicht mehr«, sagte ich, denn auch die magisch beeinflußte Figur verging. Sie zog ihren Körper zusammen, es knackte und knirschte, dann regneten die Teile auf uns nieder.
»Welchen Tag haben wir eigentlich?« fragte er.
Ich sagte ihm das Datum.
Suko erbleichte. »Haben mich die Hundesöhne so lange in ihrer Gewalt gehabt?«
»Sieht so aus. Aber da war noch etwas. Ich habe von dem chinesischen Tod erfahren, von Zwergen, die angeblich uralt sein sollen.«
»Das waren sie, John. Shao hat sie erledigt. Schau dir die Staubhaufen an, dann weißt du Bescheid.«
Shao nickte mir lächelnd zu, als ich sie fragend ansah. Nur Osa reagierte nicht. Sie massierte auch weiterhin ihren Hals.
»Bleibst du, oder bleibst du nicht?« fragte Suko seine Partnerin.
»Ich habe eine Aufgabe und bewache die Sonnengöttin, damit ihr kein Leid geschieht.«
»Kann sie nicht mal einen Tag und eine Nacht ohne dich auskommen?« lächelte Suko. Er faßte nach ihrer Hand.
»Ich weiß nicht.«
Ich stand meinem Freund bei, als ich zu Shao sagte: »Du darfst eines nicht vergessen, Mädchen. Auch Göttinnen sind nur Menschen…«
Endlich konnte Osa wieder sprechen. Krächzend fragte sie: »Seid ihr eigentlich alle verrückt?«
»Ja, irgendwo schon…«
Suko nickte ebenso wie Shao.
»Dann bin ich es auch«, sagte Osa, bevor sie dann ins Leere starrte…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 573 »Der uralte Henker«
[2] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 099 »Hüte dich vor Dracula «
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