0577 - Die Krakenfalle
sah das wogende Meer wie eine graugrüne Farblandschaft unter sich liegen.
Der Himmel war nicht mehr so klar wie am Morgen. Wolkenstreifen zogen auf und verdichteten sich zu Bänken, die sehr hoch lagen und der Sonne die Kraft nahmen.
Bestimmt würde es in der Nacht anfangen zu regnen.
»Jetzt«, sagte Dakota laut, »nehmen wir den letzten Rest der Strecke. Du wirst sehen, es geht aufwärts.«
Das ging es auch. Diesmal scheuchte Dakota den Wagen nicht einmal über einen Pfad, sondern einen steilen Hang hoch. Doris bekam Furcht, daß sie kippen könnten, doch Dakota konnte autofahren.
Nahezu lässig schaffte er den Hang.
Ein letzter Sprung über einen querlaufenden Buckel, sie hatten das Ziel erreicht.
Flach lag das Plateau vor ihnen. Es fing an dieser Stelle an und endete dort, wo die Felsen senkrecht in die Tiefe und dem Meer entgegenkippten.
Marcel und Zucci hatten die Maschinen aufgebockt und die Helme abgenommen. Der Wind spielte mit Zuccis blonder Mähne. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß und auch den Staub von der Stirn. Dann kam er grinsend näher.
»Na?«
Er hatte Doris angesprochen, die sehr schnell aus dem Wagen gestiegen und blaß im Gesicht geworden war.
»Fragst du, ob es mir gefallen hat?«
»Oui.«
»Nein.«
Zucci lachte. »Daran mußt du dich gewöhnen, meine Liebe. Wir sind manchmal besser als Stuntmen.«
»Das ist nichts für mich.«
Dakota hämmerte die Tür zu. »Hör mal, Cherie. Mitgefangen, mitgehangen, das weißt du doch.«
»Was soll das bedeuten?«
Er grinste sie über das Wagendach hinweg an. »Was du bis jetzt erlebt hast, war ein Kinderspiel. Gewissermaßen die Anfahrt zu den wahren Dingen, die Spaß machen.«
»Du meinst die Mutprobe?«
»Richtig, Süße, die Mutprobe. Die wirst du durchstehen müssen, das verspreche ich dir.«
Doris wußte nicht, was sie erwidern sollte und schaute dorthin, wo die flache Ebene endete. Sie war ein kleines Wunder der Natur.
Nicht einmal Steine bedeckten sie. Es wuchsen auch keine Bäume.
Nur ab und zu schaute gelbes Gras aus irgendwelchen Ritzen im Boden hervor. Diese Gegend erinnerte eher an eine Wüste.
Dakota hatte ihren Blick bemerkt. »Genau dort fahren wir hin. Das ist unser Ziel.«
Sie nickte. Die Angst überdeckte sie mit Humor. »Ist dein Wagen denn so gut, daß er fliegen kann?«
Alle lachten. »Leider noch nicht«, antwortete Dakota. »Vielleicht können wir noch etwas daran basteln.«
»Wie macht ihr das denn?«
Dakota grinste. »Paß auf, Süße, wir führen es dir vor. Wer meldet sich?«
Marcel hob den Arm.
»Gut«, sagte Dakota. »Du und Denise. Zeigt unserer Kleinen mal, wie stark wir sind.«
»Wollt ihr zur Klippe gehen?«
»Machen wir.« Er winkte Doris zu und legte einen Arm um sie, als sie neben ihm stand.
In dieser Haltung und so, daß sich ihre Körper berührten, gingen sie dem Rand des Plateaus entgegen. Doris kam es vor, als wäre der Wind kälter geworden. Möglicherweise lag es auch an ihrer inneren Kälte, daß sie so etwas spürte.
Bis zum Rand der Klippe waren es noch gute dreihundert Schritte.
Sie blieben stehen und schauten in die Tiefe.
Unwillkürlich zuckte Doris zurück, als sie an der senkrecht fallenden Wand entlangschaute. Sie bekam Herzrasen. Was sie da unten sah, war nicht normal, wenigstens nicht für sie, da sie zu den Menschen gehörte, die etwas Höhenangst besaßen.
Über ihren Rücken rann eine Gänsehaut. Das Meer schäumte hart gegen den Fels und produzierte einen breiten Schaumstreifen als Brandung. Sie konnte auch, wenn sie nach links blickte, in eine Bucht schauen, in der sich sogar ein feiner Sandstreifen ausbreitete.
Die Bucht öffnete sich zur flachen Uferstraße hin, so daß sie von dort aus ohne Schwierigkeiten zu erreichen war.
»Wer von hier aus ins Meer kippt, der kann nicht überleben«, sagte Dakota. Er lachte sogar noch.
Doris nickte. »Das glaube ich.«
»Wir fahren so dicht heran wie möglich.«
»Und dann?«
»Nichts.« Er breitete die Arme aus und hob die Schultern. Der Wind schleuderte die langen, dunklen Haare nach hinten und gab seinem Gesicht ein noch schärferes Aussehen.
»Das stimmt doch nicht.«
»Okay, wir drehen um.«
»Das ist alles.«
»Klar.«
»Ist schon mal was passiert?«
»Nein.«
Sie sah ihm an, daß er log. »Einer von euch soll mal zu weit gefahren sein.«
Dakota winkte ab. »Die Leute erzählen viel. Du darfst nicht alles glauben.«
Sie schaute noch einmal über den Rand in die Tiefe. Sie überkam dabei
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