0577 - Gebieter der Nacht
Was glaubst du, was passiert, wenn du ihr am Hals herumfingerst? Entweder schlägt sie dich gleich nieder, oder sie kreischt um Hilfe, und Carstens schießwütige Hilfssheriffs versehen dich mit soviel Blei-Implantaten, daß du bei deinem Begräbnis doppelt so viele Sargträger brauchst als normal…«
»Lieber Himmel, bist du heute mal wieder ein Herzchen«, seufzte Zamorra.
Aber sie war schon an der Tür.
Zamorra überließ ihr die Sache mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Lachend, weil sie ihm eine Arbeit abnahm, der er sich momentan tatsächlich nicht völlig gewachsen fühlte. Er war immer noch zu schwach und konnte einfach den Grund dafür nicht finden…
Weinend, weil er Nicole plötzlich nicht mehr über den Weg traute.
Seine eigenen Worte hatten ihn mißtrauisch gemacht!
Nicole hatte zu eindringlich versucht, ihm Carstens Verdacht aus dem Kopf zu reden. Und gestern abend war sie draußen in Beaminster gewesen, außerhalb der Abschirmung des Cottage, und ohne die Sicherheit des Amuletts. Sie hatte es nicht mitgenommen, also hatte es sie auch nicht schützen können.
Konnte es sein, daß sie tatsächlich von einem Vampir gebissen worden war?
Doch das war so gut wie ausgeschlossen. Sie hätte ihn mit ihren feinen Sinnen, mit ihrem Gespür für Schwarze Magie und ihrer Telepathie rechtzeitig erkennen müssen. Außerdem, wenn sie gebissen und mit dem Vampirkeim infiziert worden wäre, hätte sie sicher erhebliche Probleme mit der M-Abwehr bekommen, mit jener weißmagischen Schutzglocke, die sich über dem Cottage wölbte. Je nach Grad der Infizierung hätte sie das Cottage vielleicht nicht mal mehr wieder betreten können.
Aber…
Er hatte ihren Hals nicht gesehen!
Unwillkürlich ballte er die Fäuste. Es flößte ihm äußerstes Unbehagen ein, daß er die Sache nicht selbst im Griff hatte, nicht in seiner eigenen Hand.
Er machte sich nur sehr ungern von anderen abhängig…
***
Nicole schüttelte fast ungläubig den Kopf, als sie begann, nach der Frau zu suchen, die das Haus inzwischen betreten hatte.
Es war erstaunlich, wie schnell sich das doch recht kleine Cottage nun füllte. Die bereits eingetroffenen Schulungsgäste und die Sicherheitsleute standen sich jetzt schon gegenseitig auf den Füßen. Sicher, das alles hier schien gut durchorganisiert, aber wie, um Himmels willen, sollten hier insgesamt an die vierzig Personen einquartiert werden?
Nicht mein Problem, entschied Nicole. Sie war die Geräumigkeit von Château Montagne gewohnt. Dort traf man nicht an jeder Ecke auf irgend jemanden, der sich, gerade frisch eingetroffen, zu orientieren versuchte. Im Cottage aber bekam Nicole bereits jetzt Platzangst.
Okay, wenn's nicht anders ging, würden sie sich eben hier ausquartieren. Sie konnten ebensogut vom Château aus agieren, da aufgrund der Regenbogenblumen ja gewissermaßen nur ein Schritt zwischen beiden Orten lag. Oder sie konnten sich im Dorf ein Zimmer mieten oder in Pembroke Castle einziehen. Der Earl würde ihnen die Gastfreundschaft ganz bestimmt nicht verweigern.
Andererseits waren dort die Gespenster…
Sie schüttelte den Kopf. Und stand plötzlich vor der Gesuchten.
»Doc Tanner?«
Die andere Frau runzelte die Stirn, schien von der Störung gar nicht erbaut zu sein. »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sie sich kühl.
Nicole stellte sich vor.
»Sie gehören also nicht zu den Schulungsteilnehmern?« vergewisserte sich Sue Tanner.
»Natürlich nicht.«
»Dann möchte ich Sie bitten, mich momentan nicht zu stören. Wenn es ein Problem gibt, sprechen Sie das mit dem Konzernchef ab. Ich habe zu tun.«
Der gereizte, aggressive Ton gefiel Nicole nicht. »Etwas mehr Höflichkeit stände Ihnen sicher gut an«, sagte sie unverblümt.
»Ach, lassen Sie mich in Ruhe!« fauchte Tanner. »Ich werde nicht dafür bezahlt, Plauderstündchen mit Außenstehenden abzuhalten.« Sie schob sich an Nicole vorbei.
Nicole ließ sie gehen. Warum sollte sie sich künstlich aufregen? Allerdings gab ihr die Aggressivität zu denken, mit der Sue Tanner ihr entgegentrat. Dabei war diese Aggressivität durch nichts gerechtfertigt.
Aber Tanner schien mehr als nur dieses Problem zu haben. Ihr Gesicht war leicht verzerrt, ihre ganze Haltung angespannt und abwehrbereit. Das lag bestimmt nicht daran, daß sie mit Nicole nichts zu tun haben wollte, und auch nicht an ihrer momentanen Arbeitsbelastung. Es mußte einen anderen Grund geben.
Nicole hatte ihren Hals nicht sehen können. Trotz
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