0578 - Die Geisel
die Zweige einer Hecke gegen die Stoßstange kratzten, trat ich voll auf die Bremse und stieg aus.
War es ein Fall? War es kein Fall? Noch wußte ich es nicht. Mir war einfach zu wenig bekannt.
Mich hatte der Anruf von Captain Hamilton aus dem Schlaf geschreckt.
Mr. Brookman, Witwer, der mit seinen beiden Töchtern allein in einem großen Haus lebte, war überfallen worden. Keine normale Geiselnahme, denn der Eindringling hatte ihm erklärt, daß er ein Zombie sei und nur mit mir verhandeln wollte. Brookman hatte er laufenlassen, dessen Töchter aber befanden sich in seiner Gewalt.
In letzter Zeit war ich verdammt allergisch gegen das Wort Geisel geworden. Das hatte seinen Grund, denn Mary Sinclair, meine Mutter, war ebenfalls gekidnappt worden. Sie befand sich in der Hand eines Vampirs namens Will Mallmann. Früher war er Kommissar und ein Freund von mir gewesen, jetzt war er mein erklärter Todfeind.
Ob er meine Mutter schon zu einem Vampir gemacht hatte, das wußte ich nicht. Ich konnte nur hoffen, daß er sich noch zurückgehalten hatte, sonst wäre alles umsonst gewesen.
Über Mallmanns Pläne war ich im einzelnen nicht informiert, aber ich würde ihn jagen und mich auch nicht mehr in einen dienstlich angeordneten Kurzurlaub schicken lassen, wie es vor ein paar Tagen geschehen war. Ich reiste an die Cote d’Azur, traf dort auf Kara und mußte miterleben, wie eine kleine Stadt von einem schrecklichen Krakenfluch heimgesucht wurde. Ich hatte nicht viel tun können, denn Kara kannte sich dort besser aus.
Aber London war mein Revier.
Jemand kam mir entgegen. An der Größe allein erkannte ich, daß es Hamilton war.
»Hallo, John…«
»Hi, Cliff.«
Wir gaben uns die Hände. »Gut, daß du gekommen bist, John. Bisher ist alles normal geblieben, er hat sich nicht gerührt«, Hamilton schaute besorgt auf seine Uhr, »obwohl wir uns nicht an das Ultimatum gehalten haben.«
»Welches Ultimatum?«
»Er will mit dir reden.«
»Das kann er.« Ich hatte mir das Haus schon angeschaut. »Muß ich dort hinüber?«
»Nein, keinesfalls. Du kommst mit in den Einsatzwagen. Dort kannst du mit ihm telefonieren.«
»Gut. Ist er tatsächlich ein Zombie?«
Hamilton grinste mich an. »Das hat er gesagt, John.«
Ich hob die Schultern. »Manchmal gibt es Scherzbolde, die sich wichtig machen wollen.«
»Das wäre ein schlechter Scherz. Wenn ich Leute hasse, dann sind es Dealer und Geiselnehmer.«
»Das kann ich dir nachfühlen, Cliff.«
Er ließ mir den Vortritt beim Betreten des Einsatzwagens. Im Innern herrschte eine stickige Luft. Der Geruch von Rauch vermischte sich mit den Schweißausdünstungen des Mr. Brookman, der auf einem Hocker saß und den Kopf gesenkt hielt, so daß seine weißen Haare wie ein wirres Netz in die Stirn gefallen war. Er bot eine Gestalt des Jammers. Die Hände hatte er zusammengelegt und sie auf seine Oberschenkel gestützt. Daß Hamilton und ich den Wagen betreten hatten, war von ihm nicht wahrgenommen worden.
Der zweite Beamte vor einem der Monitore nickte mir zu. Ich blieb vor David Brookman stehen.
»Ich bin John Sinclair«, sagte ich leise.
Es dauerte eine Weile, bis ihm zu Bewußtsein kam, daß er angesprochen worden war. Als würden Steine gegen seinen Nacken drücken, so langsam hob er den Kopf.
Ich nickte ihm zu.
Er wischte mit der flachen Hand durch sein verquollenes und tränenfeuchtes Gesicht. Im fahlen Schein der Instrumentenbeleuchtung wirkte sein Gesicht wie eine grün gefärbte Landschaft aus Kratern, Erhebungen und Einschnitten. Die Qual zeichnete seinen Mund, seine Augen, sie nahm überhaupt alles ein.
»Sie… Sie sind da, nicht?«
»Natürlich. Ich kam, so schnell ich konnte.«
Brookman blickte mich mit einem Ausdruck an, als wollte er jeden Augenblick anfangen zu weinen. Statt dessen aber faßte er mit seinen feuchten Händen nach den meinen und drückte sie hart. »Bitte, Sir«, sagte er. »Ich flehe Sie an. Bitte, retten Sie meine beiden Kinder! Holen Sie meine Töchter aus dieser Hölle.«
Ich erstarrte. »Zwei Töchter?«
»Ja, Donna und Marion.«
»Und sie befinden sich in der Gewalt dieses Mannes, der sich als Zombie bezeichnet hat?«
»Ja.«
»Haben Sie ihn gesehen?«
»Nicht das Gesicht«, flüsterte Brookman. »Es war nicht möglich, er trug eine rote Kapuze. Als wäre er vom Ku-Klux-Klan geschickt.«
»Von seinem Gesicht war nichts zu sehen. Und von seinem Körper?«
»Auch nicht. Er hatte ihn mit einer weißen Kutte verhüllt. Ich sah nur
Weitere Kostenlose Bücher