0578 - Die Geisel
dann?«
»Nimm es ab. Nimm es ab, wirf es weg, wirf alle Waffen weg, die du bei dir trägst.«
»Willst du sie haben?«
»Mach schon.« Seine rechte Hand zuckte. Die Spitze näherte sich der Kehle des Mädchens. »Ich will dich vorführen, ich will dich waffenlos haben, Sinclair.«
»Was hast du davon?«
»Ich kann es deiner Mutter erzählen, Sinclair.«
Da hatte es mich getroffen. Er mußte gesehen haben, daß mein Gesicht einen anderen Ausdruck bekam, denn er freute sich darüber.
»Ein schwacher Punkt, Geisterjäger, wie?«
»In der Tat. Was ist mit ihr?«
»Es gibt sie noch.«
»Das ist mir zuwenig!«
»Weg mit den Waffen!«
Ich zögerte, was ihn wütend machte. »Denk an deine verdammte Mutter. Ich weiß, wo sie ist.«
Zuerst warf ich die Beretta weg. Ich hörte sie auf die vorstehenden Steinkanten prallen. Es folgte der Dolch, dann griff ich zum Kreuz.
Mallmann ließ mich nicht aus dem Blick. Hinter den Schlitzen funkelten seine Augen. Das Kreuz war die gefährlichste Waffe. Allein der Anblick bereitete ihm Schmerzen.
Daß er sich auf ein so hohes Risiko einließ, wunderte mich. Irgendwo mußte er schwer unter Druck stehen und seine Probleme haben.
Die finanziellen waren zunächst gelöst, aber da gab es andere, mit denen er nicht fertig wurde.
Hatte er sich übernommen?
»Das Kreuz!«
Ich nickte in seine Richtung. »Immer mit der Ruhe, Will. Du bekommst es, keine Sorge!«
»Du sollst es wegschleudern.«
»Und dann?« Ich hielt die Kette bereits fest. Beide Arme hatte ich angehoben.
»Werde ich dir alles weitere sagen. Oder willst du, daß die Kleine hier stirbt?«
»Nein, Donnas Schicksal hat mir gereicht.«
»Na bitte.«
Ich zog das Kreuz hervor. Das Mädchen konnte es nicht sehen. Es kniete und starrte nur den Maskierten an.
Jetzt hing es außen. Strahlte es Wärme ab, erreichte sein Fluidum den Vampir?
Mallmann hatte seine eigentliche Haltung nicht verändert. Er stand nur noch gespannter da.
»Weg damit!« röhrte er unter seiner Kapuze.
»Ja, sofort. Aber nur, wenn du deinen Dolch wegwirfst!«
»Nie!«
»Dann werde ich mein Kreuz auch nicht aus der Hand geben. Willst du es haben?« Ich ging einen kleinen Schritt auf die Geisel zu.
Mallmann war irritiert. Seltsam, wie schwach seine Nerven plötzlich waren.
»Na?«
»Wirf es nicht weg, John!« vernahm ich die Stimme meines Freundes aus dem Hintergrund. »Halte es ruhig fest. Ich bin gespannt, wie sich unser Freund aus der Lage befreien will, Mallmann, du hast zu hoch gepokert. Jetzt haben wir dich!«
***
Hatte sich der Blutsauger in den letzten Sekunden schon nicht gerührt, so schien er jetzt regelrecht einzufrieren. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte. Wenn er zustieß, würde ich das Kreuz werfen, das stand fest.
»Deine Mutter, Sinclair… denk an sie!«
»Das tue ich immer.«
Zum erstenmal meldete sich das Mädchen. »Mr. Sinclair. Es ist anders, es ist alles anders.«
»Was ist anders.«
»Ich habe ihn gesehen!«
»Wen?«
»Einen…«
»Halt dein Maul!« brüllte Mallmann mit einer Stimme, die ich nicht von ihm kannte.
»Nein!« schrie sie dagegen. »Wir sprangen zusammen aus dem Zug, aber da war noch etwas, das ich nur schwach mitbekam. Der Wechsel, er ist angelaufen wie…«
Da stieß er zu.
Ich schleuderte das Kreuz. Es war ein Reflex, ich konnte einfach nicht anders. Ich sah die Klinge und das Kreuz, aber ich war um eine winzige Idee schneller.
Marion Brookman schrie auf, als die Klinge sie erwischte, aber nicht tötete. Sie blutete am Hals und an der Wange, doch mein Kreuz hatte den Vampir dort getroffen, wo sich in seiner Kapuze die Augenschlitze befanden.
Er brüllte, kippte zurück, verlor den Halt und verschwand von der Plattform.
Ich hörte seinen Körper aufschlagen und Sukos Stimme. »Okay, John, er liegt hier.«
Dann erst bückte ich mich zu Marion, wickelte ein sauberes Taschentuch so gut wie eben möglich um die Wunde. Sie schaute mich an. Blut rieselte über ihre Lippen. »Das ist nicht so, Sinclair, nicht so. Ich erinnere mich wieder, nach dem Sprung aus dem Zug, sie…«
Dann wurde sie ohnmächtig.
Es war einfach zu viel für sie gewesen.
»John!« Suko schrie mir zu. Dieser Ruf alarmierte mich. Ich kannte meinen Freund. Wenn seine Stimme derart klang, war etwas geschehen.
So rasch wie möglich kletterte ich dann die Pyramide hinab, und zwar dorthin, wo sich das helle Licht befand.
Der Inspektor hatte seine kleine Lampe eingeschaltet und leuchtete die Gestalt an, die auf dem
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