058 - Der Duft von Sandelholz
zerzauste seinem Neffen das Haar, verabschiedete sich von seinem Vater und seinem Schwager und führte schließlich Lily und ihre Anstandsdame die Treppe hinunter. Als sie das Haus verlassen hatten, begab er sich zur Straße, um eine Miet-kutsche anzuhalten. Als die beiden Frauen nach dem Grund dafür fragten, erklärte er ihnen, dass er zu Fuß gekommen sei. Mrs. Clearwell bestand nun darauf, ihn mitzunehmen.
„Wohin wollen Sie, Major?"
„Nach Hause. Ich wohne in Althorpe."
„Dann müssen Sie uns erlauben, Sie dort abzusetzen."
„Ich möchte keineswegs ..."
„Gar nicht - Haymarket, nicht wahr? Genau, wie ich's dachte. Es liegt direkt auf unserem Weg."
„Oh! Na dann." Heiter stimmte er zu, und es dauerte nicht lange, dann war die Barouche wieder unterwegs.
Er zeigte auf Knight House am Ende von Green Park, ein außerordentlicher Stadtpalast, neben dem Lord Griffiths elegantes Haus geradezu winzig wirkte.
Das, erklärte Derek, sei das offizielle Hauptquartier der Knights, wo sein Cousin residieren würde, das Oberhaupt des Clans, Robert Knight, Duke of Hawkscliffe. Seit vielen Generationen würde es der Familie gehören.
Während sie seinen Worten lauschte, dachte Lily an all den Spaß, den sie an diesem Tag gehabt hatte, und sie fragte sich, wann sie wohl wieder Zeit mit ihm verbringen könnte. Sie fragte sich ebenso, was sie wohl Edward sagen würde, wenn ihn die Nachricht erreichte, dass sie in London mit seinem gut aussehenden neuen Freund gesehen worden war.
Es war nichts auch nur annähernd Ungehöriges passiert, aber dennoch glaubte sie nicht, dass Edward das mögen würde. Dennoch empfand sie seltsamerweise kein Schuldgefühl.
Dann merkte sie, dass die Barouche langsamer geworden war. Lily blickte die Straße hinunter und sah, dass die Kreuzung ein Stück weiter vorn von einer Reihe Kutschen versperrt wurde.
Der Verkehrsfluss war zum Erliegen gekommen. Sie versuchten zu erkennen, was geschehen war.
„Vermutlich ist eine Kutsche zusammengebrochen, sodass die anderen zum Halten gezwungen wurden", mutmaßte Derek.
Lily schüttelte besorgt den Kopf. „Ich hoffe, es hat keinen Unfall gegeben."
„Nun, das wäre kein Wunder, so rasant wie ein paar von den jungen Hitzköpfen ihre Damen durch die Straßen kutschieren", sagte Mrs. Clearwell missbilligend.
„Vermutlich hat einer von ihnen jemanden überfahren, arme Seele."
Derek hörte ihr mit ernster Miene zu, dann stand er plötzlich auf. „Ich werde nachsehen, ob jemand verletzt ist. Vielleicht wird Hilfe gebraucht."
„Hilfe?", wiederholte Lily erschrocken.
„Meine lieben Damen, wenn Sie wüssten, wie viele Notoperationen ich auf dem Schlachtfeld durchgeführt habe ..." Seine Worte verloren sich, als er über die Seite der Barouche sprang.
Mit raschen Schritten eilte er auf die Kreuzung zu und verschwand in der Menge.
Lily wandte sich erstaunt an Mrs. Clearwell. „Operationen?"
Ihre Patin zuckte die Achseln und wirkte ebenfalls sehr überrascht über die verborgenen Talente des Majors.
Natürlich schien es verständlich, dass er über ein gewisses Maß an ärztlichen Fähigkeiten verfügte. Zweifellos gab es nach einer Schlacht mehr Verwundete, als Ärzte zur Hand waren.
Dieser Mann hat Menschenleben gerettet, dachte Lily verwundert. Bisher hatte sie nur daran gedacht, dass er als Soldat Leben genommen hatte.
Die Barouche setzte sich bald darauf wieder in Bewegung, froh darüber, zumal sich die geschäftigen Londoner nicht gern von einem Verkehrsunfall aufhalten ließen.
Falls wirklich jemand von einer Kutsche überfahren worden war, so war Lily nicht sicher, ob sie es sehen wollte. Beim Anblick von Blut wurde ihr gewöhnlich übel.
Doch unabhängig davon konnte sie es nicht erwarten, Derek in Aktion zu sehen.
Sie kamen voran, wenn auch im Schneckentempo. Die Kutschen vor ihnen fuhren einfach einen Bogen um das liegen gebliebene Vehikel. Jetzt wurde auch der Grund für die Störung sichtbar: eine überladene Postkutsche, die überladen von Passagieren und Gepäckstücken war. Wütende Gesichter blickten aus den Fenstern der daran vorbeijonglierenden Gefährte, während die ungeduldigen Reisenden sich beim Kutscher beschwerten.
„Los jetzt! Weiter!"
„Setzen Sie Ihren Klepper in Bewegung!"
Lily war erstaunt, als sie Derek neben einem der Kutschpferde stehen sah. Das dürre, abgemagerte Tier war in einem erbärmlichen Zustand. Es war krank oder verletzt und nicht in der Verfassung, seinen Pflichten nachzukommen. Hilflos
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