0580 - Ginas Mörderschloß
sonst wäre er nicht in der Geschichte erwähnt worden.
Gina, die Hexe auf der einen Seite. Und er, der vierzehnjährige Junge auf der anderen.
Weshalb träumte er von ihr?
So wie auf der Zeichnung hatte die Hexe auch in seinen Träumen ausgesehen. Er hatte sie genau erkennen können, aber er konnte noch immer keine Verbindung zwischen ihm und dieser im achtzehnten Jahrhundert lebenden Frau herausfinden.
Jedenfalls hatte er Gewißheit, daß seine Träume nicht so absurd waren. Hinter ihnen steckte eine Bedeutung.
Er drückte sich wieder in die Höhe und wollte das Buch in das Regal zwischen die anderen klemmen, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Es klang nicht laut, er konnte es auch nicht identifizieren, aber es war keine Täuschung gewesen. Zudem war das Geräusch nicht draußen, sondern im Innern des Internats erklungen.
Sogar in der Bücherei…
Dennis hatte nicht gehört, daß die Tür geöffnet worden war. Das besagte nichts. Er war ebenfalls so gut wie lautlos in die Bücherei hineingekommen.
Noch befand er sich in einer Ecke und in relativ guter Deckung. Er sah nichts, konnte aber von einem Eindringling auch nicht sofort entdeckt werden.
Oder wußte jemand, daß er sich im Haus befand?
Sofort dachte er an Orth. Sein Herz schlug noch schneller. Diesem Hausmeister war alles zuzutrauen. Der schlich sich heran wie eine Giftviper, um blitzschnell zuzuschlagen.
Der Junge sah ihn nicht. Er preßte sich mit dem Rücken gegen das Bücherregal und versuchte auch, seinen Atem unter Kontrolle zu halten, was ihm sichtlich schwerfiel, denn die Angst verstärkte sich.
Zumal, als er das Schleifen vernahm. Es klang so, als hätte jemand die Sohle eines Schuhs über den Boden gezogen.
Eine Gänsehaut kroch seinen Rücken hoch und erreichte sogar die Schultern.
Bleiben oder weglaufen!
Dennis mußte sich entscheiden. Noch blieb er steif stehen, schaute gegen den Boden, wo, die Nische allerdings nicht berührend, ein durch das Fenster fallender Streifen Sonnenlicht einen hellen Teppich gelegt hatte.
In ihm wirbelten zahlreiche Staubpartikel und veränderten den Streifen zu einem dreidimensionalen sichtbaren Gebilde, der urplötzlich von einem Schatten durchquert wurde.
Es war ein menschlicher Schatten!
Noch sah Dennis die Person nicht.
Er konzentrierte sich auf den Schatten und dessen Ausmaße. Den Körper konnte er erkennen, auch die Arme, selbst die Hände. Genau zwischen diesen hielt die Person einen länglichen Gegenstand.
Für Dennis war nicht zu erkennen, um was es sich dabei handelte.
Normal jedenfalls war es nicht.
Der Schatten bewegte sich in die Nische hinein und damit auch in seine Richtung. Er verkleinerte sich, kroch zu der Gestalt hin, die plötzlich vor dem Jungen stand.
Sie kam ihm vor wie ein Monster.
»Herr Orth!« hauchte Dennis nur und stellte fest, daß ihm die Knie weich wurden…
***
Der Vergleich war nicht einmal schlecht. Denn wie ein Monstrum hatte sich der Hausmeister vor dem schreckenstarren Schüler aufgebaut. Er war ein Typ, vor dem man sich fürchten konnte. Eine glatte, fast haarlose Gestalt, wie ein Wesen von einem anderen Stern.
Der Kopf saß auf einem ziemlich dünnen und sehnigen Hals. Eine blaßblaue Kugel mit zwei übergroßen Ohren. Die Augen wirkten wie dunkle Räder, die Lippen waren sehr breit und wulstig. Darüber erinnerte die Nase mit ihren großen Löchern an einen mehr als gewaltigen Daumen. Kein Haar wuchs auf dem glatten Kopf, nur aus den Nasenlöchern schauten zitternd einige hervor.
Wie immer trug Orth seinen kurzärmeligen, grauen Overall. Darunter ein schwarzes Hemd mit halbem Arm. Sehnige Arme mit Muskelpaketen waren zu bewundern. Auf der Haut wuchs kein Haar. Gesund sah der Kerl nicht aus.
Die Glatze spiegelte sich im Sonnenlicht. Außerdem fiel auf, daß er bewaffnet war, und zwar mit einem matt schimmernden Schnellfeuergewehr, in dem der Ladestreifen steckte. Damit konnte er schon Angreifer aufhalten. Nur – wer sollte ihn angreifen?
Dennis bestimmt nicht.
»Herr Orth…« Dennis nahm alle Kraft zusammen, um den Namen aussprechen zu können. »Sie müssen mir …«
»Ich muß überhaupt nichts, mein Junge.«
»Doch, Herr Orth. Es ist nicht so, wie Sie vielleicht gedacht haben. Wirklich nicht…«
»Sei ruhig.«
»Aber ich meine doch…«
»Du hast hier nichts zu meinen. Wissen deine Eltern, daß du in die Schule gekommen bist?«
Nun machte Dennis einen Fehler, denn er verneinte die Frage. Sofort huschte ein Grinsen über das
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