0580 - Ginas Mörderschloß
befand sich im Keller. Eine sehr lange Strecke, auf der viel passieren konnte.
Etwas schallte grauenhaft durch das Treppenhaus mit der hohen Decke. Es war das Lachen des Verfolgers. Ein unheimliches Geräusch, das die Angst des Jungen noch steigerte. Es hörte sich an, als würden die Scheiben der Fenster zittern. Es übertönte selbst das harte Hämmern der Schritte.
Dennis drehte sich um.
Nur einen Sekundenbruchteil, weil er sehen wollte, wie nahe Orth bereits an ihn herangekommen war. Der Hausmeister lief mit gewaltigen Schritten. Für Dennis war er zu einem mörderischen Riesen geworden. Jede Bewegung nahm er wahr, als würde dieser Mensch im verlangsamten Tempo laufen und trotzdem aufholen.
Es war einfach furchtbar. Dennis spürte die Angst, die wie ein festgefressener Faustschlag in seinem Magen lag. Er rannte weiter über den glänzenden Steinboden, dieser riesige Flur machte ihm Angst, er hatte die Übersicht verloren und wußte auf einmal nicht mehr, wo es zum Keller ging.
Wie eine plötzlich eingesetzte Kulisse tauchte vor ihm die breite Treppe auf.
Er mußte daran vorbei, das war ihm schon klargeworden. Im nächsten Augenblick jedoch ging für ihn die Welt unter in einem mörderischen Krachen.
Orth hatte geschossen!
Der Junge hörte die Kugel nicht pfeifen, der Krach übertönte alles, doch er sah, wie sie rechts von ihm – und das verdammt dicht – gegen den Steinboden hieb, eine lange Schramme hinterließ, bevor sie als Querschläger wegjaulte.
Dennis sprang vor.
Sein Körper streckte sich, als wollte er vom Brett aus in die mit Sand gefüllte Grube des Sportplatzes springen, um einen neuen Schulrekord zu erreichen.
Nicht den Sandkasten erreichte er, sondern die Treppe. Er prallte auf eine der ersten Stufen und hatte Glück, daß er nicht stolperte.
Zudem gelang es ihm noch, sich an dem breiten Handlauf des Geländers festzuhalten. Für einen Moment lief er nicht mehr weiter.
Eine Pause von Sekunden, die Orth nutzte.
»Wenn du weitergehst, schieße ich dir eine Kugel ins Bein, Junge!«
Der Befehl war hart gesprochen worden. Selbst in seiner Lage konnte Dennis unterscheiden, daß dieser Mensch hinter ihm es ernst meinte. Der Junge zitterte.
»Na, Kleiner?«
Dennis drehte sich um, ohne den Handlauf loszulassen. Er gab ihm zumindest das Gefühl der Sicherheit.
Der Hausmeister stand vor der ersten Stufe. Fast lässig hielt er sein Schnellfeuergewehr in den Händen. Die Mündung aber wies auf Dennis’ Körper.
Bisher hatte der Schüler diese Dinge nur im Film gesehen. Er dachte an Streifen wie Indiana Jones und James Bond. Von der letzten Serie kannte er alle Filme, da waren die Helden immer so toll gewesen, doch in seinem Fall…
»Was denkst du?« Orth fragte es und lachte dabei. »Los, sag schon, Junge!«
Dennis schüttelte den Kopf.
»Gut«, sagte der Hausmeister, »wirklich gut bist du. Man muß wissen, wenn man verloren hat. Gegen mich, mein Junge, kannst du nur verlieren. Es gibt keine Chance.«
Dennis nickte, obwohl er es nicht wollte. Er blickte nach unten. Die Stufen bewegten sich und veränderten sich dabei zu einem grauen Sumpf, der ihn anzog. Nur mit großer Mühe konnte er die nächste Frage stellen: »Was haben Sie denn mit mir vor?«
»Das kann ich dir sagen, mein Kleiner. Du wirst die Schule nicht verlassen, ich halte dich fest. Ist das nicht ein Wort?«
»Festhalten?«
»Klar doch.«
»Für wen?«
»Ich handele in Ginas Auftrag. Weißt du, sie ist eine Person, die das Besondere liebt. Dazu gehört auch die Dunkelheit. Am Abend werde ich dich zu ihrem Schloß bringen. Du hast den Namen doch behalten, oder? Ginas Mörderschloß.« Er grinste, wobei seine glatte Haut anfing zu zucken. »Ich könnte es auch als Ginas Blutschloß bezeichnen. Dieses Schloß hat sehr viel Blut gesehen, mein Kleiner, sehr viel Blut.«
Dennis Höller schüttelte sich. Orth redete nicht mehr, er handelte.
Mit seinen für ihn typisch schweren Schritten stieg er die Stufen hoch und Dennis entgegen.
Dabei ließ er ihn nicht aus dem Blick. Das Gesicht des Jungen wurde zu Glas. Die leichteste Berührung genügte, um es zerspringen zu lassen. Gefühle kannte er nicht mehr. In seinem Körper wühlte nur die Angst. Er schaute Orth entgegen, der sein Schnellfeuergewehr nahezu lässig bewegte und es hochkantete. Die Distanz zwischen ihm und dem Jungen stimmte mittlerweile.
Wie ein harter Ring drückte die Mündung gegen seine Brust. Über den Gewehrlauf hinweg schwang das Flüstern der Stimme.
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