0582 - Der Totenbaum
feststellen, wo sie sich befanden.
Zur Not brauchte er ja nur seine verwurzelten Freunde zu fragen…
***
Zamorra fühlte sich einsam.
Natürlich wußte er seine Freunde in der Nähe. Aber würden sie ihm helfen können?
Vielleicht war der Kampf für ihn schon längst vorbei, ohne daß er es überhaupt wußte.
Er näherte sich dem Friedhofsportal.
Irgendwann in der vergangenen Nacht waren hier zwei Menschen gestorben, auf eine entsetzliche, kaum vorstellbare Weise.
Vielleicht würde Zamorra in Kürze genauso sterben.
Hatte er es tatsächlich mit einem Überbleibsel jenes Dämons zu tun, der seine baumgewordenen Inkarnationen ausgesandt hatte?
War diese üble Sache noch immer nicht aus der Welt geschafft?
Aber wie konnte davon noch etwas zurückgeblieben sein?
Das mußte er herausfinden.
Irgendwie hoffte er, daß es wirklich etwas zu tun hatte mit seinem letzten Fall. Dann wußte er wenigstens, wie er reagieren sollte.
Zamorra betrat den Friedhof. Er wußte, daß Nicole und Robin ihn jetzt nicht mehr sehen konnten.
Aber etwas trieb ihn an, zog ihn immer weiter über den Totenacker.
Er schritt in der Dämmerung durch die Gräberreihen, betrachtete sie, ohne sie wirklich zu sehen.
War dies seine Zukunft?
Ein Friedhof? Ein Grab mit Stein und Inschrift?
Die Endstation für einen Auserwählten, für einen Unsterblichen? Für einen Menschen, der theoretisch ewig leben konnte, wenn er nicht durch Mord oder Magie getötet wurde?
Er dachte an die Hölle der Unsterblichen, die Torre Gerret verschlungen hatte, jenen Mann, der Zamorra unter dem Namen Odinsson gejagt und ihm jede Menge Schwierigkeiten bereitet hatte. Unzählige andere Unsterbliche hatten in jener ganz besonderen Hölle ihren Platz gefunden. Sie würden dort bleiben, verdammt für alle Ewigkeit - bis das Universum sein Ende fand. Vielleicht in -zig Milliarden von Jahren… [3]
Zamorra war vielleicht der einzige der Unsterblichen, auf den diese Hölle nicht wartete.
Weil er nie zum Mörder geworden war. Nicht mal, als er seinen Konkurrenten an der Quelle den Lebens hatte töten sollen. Er hatte ihn verschont und die Wächterin der Quelle des Lebens ausgetrickst, um die Unsterblichkeit zu erlangen.
Er hatte einen hohen Preis dafür zahlen müssen.
Aber nicht den Preis, den die Unsterblichkeit von allen anderen gefordert hatte…
Und nun?
Zumindest der Tod wartete auf ihn. Auch die Unsterblichkeit hatte ihre Grenzen. Krankheiten konnten einem Auserwählten nichts anhaben, die überstand er rascher als der vitalste, gesündeste Sterbliche. Gegen Mord und Magie war er trotzdem nicht gefeit.
Hohe Bäume überschatteten die Gräberfelder.
Einen Moment lang glaubte Zamorra, sich hier zu Hause zu fühlen.
Er erschrak vor diesem Gedanken.
Was tat er überhaupt hier?
Er sah empor zum dunkler werdenden Himmel, durch das Geäst der großen Bäume.
Sekundenlang glaubte er, einen großen, dunklen Punkt am Himmel zu sehen, verlor ihn aber sofort wieder. Sicher nur eine Sinnestäuschung.
Doch etwas stimmte nicht.
Aber was?
Langsam, ganz langsam nur, kehrte er zum Friedhofsportal zurück.
Er war ganz sicher, daß er es hinter sich offengelassen hatte, als er eingetreten war.
Jetzt war es geschlossen.
***
Der Feind war da.
Er befand sich in unmittelbarer Reichweite.
Er war gefährlich - auf eine Art, die er selbst vermutlich nicht mal begriffen hatte.
Die Intelligenz war stärker geworden in den letzten Stunden des Tages. Sehr viel stärker.
Aber sie wartete auf die Nacht. Denn die Dunkelheit würde ihr jene Kraft geben, die sie nicht aus dem Sonnenlicht beziehen konnte.
Das Sonnenlicht ließ die Materie wachsen, aber die Nacht stärkte den Geist.
Einen Geist, der gewillt war, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Feind zu vernichten.
Nicht, um ihn zu seinesgleichen zu machen wie die anderen. Nicht, um sich an seiner Energie zu laben und durch ihn stärker zu werden.
Sondern um ihn zu vernichten!
VERNICHTEN!
Denn er war - der FEIND!
***
Zamorra berührte das Schloß. Nichts und niemand hinderte ihn daran, das Tor wieder zu öffnen und hindurchzuschreiten. Sollte der leichte Wind es einfach nur zugeworfen haben?
Seltsamerweise hatte er kein entsprechendes Geräusch gehört.
Er blieb neben dem Tor stehen, ließ die Eisentür wiederum offen und wartete ab.
Nichts geschah.
Die Tür fiel nicht von selbst ins Schloß zurück.
Zamorra bewies Geduld, doch schließlich wandte er sich wieder ab.
Er ging ein paar Schritte weiter,
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