0585 - Unterwelt
zitterte nicht nur vor Kälte, auch vor Furcht. In ihrem Blick lag die Angst. Bisher hatten sie unwahrscheinliches Glück gehabt. Ob das allerdings anhalten würde, wagte sie zu bezweifeln.
Sie ging über den feuchten Rasen, ohne ein Ziel zu haben. Cathy konnte überall sein. Zwischen den Nadelbäumen, hinter den Büschen, es gab kaum einen Platz, wo sie sich nicht verbergen konnte.
Vielleicht vor dem Haus?
Auf der Stelle kehrte Lorna Child um. Der Atem stand als Nebel vor ihren Lippen. Es regnete nicht mehr. Die Luft jedoch war schwülfeucht.
Auch hinter dem Haus gab es keine Gartenlaternen, und das Licht aus den Fenstern brachte auch nichts.
»Cathy…?«
Bei diesem Ruf erreichte sie ein Windstoß. Er schien ihr das Wort höhnisch zuzuflüstern.
»Warum?« flüsterte sie. »Warum tut sie das? Sie kennt die Gefahr doch, die von Mickey ausgeht…«
Lorna schaute auf das Kreuz. Es gab ihr Hoffnung. Da hatte Harold genau das richtige getan, als er es weihen ließ. Aber was nutzte es, wenn sie Cathy nicht fand und sie schützen konnte?
Ziellos ging sie durch den Garten. Er kam ihr plötzlich so groß vor, eigentlich viel zu groß. Über ihren Rücken rann ein Schauer und verdichtete sich zu einer zweiten Haut, die blieb.
»Cathy…«
Neben den Nadelbäumen blieb Lorna stehen und senkte den Kopf.
Naß und dunkel schimmerte das Gras. Es zeigte viele Trittspuren.
Sie blickte wieder hoch, über die Wiesen hinweg – und sah plötzlich den Schatten.
Nicht den ihrer Tochter. Etwas Kleines, Schnelles huschte auf vier Beinen heran.
Mickey, der Vampir-Kater!
Er war wie ein Pfeil, als er durch das Gras huschte. Zudem hatte er ein Ziel, denn er ließ sich durch nichts davon abbringen.
Aus einer Buschgruppe löste sich Cathy Child. Sie hatte den Kater ebenfalls gesehen und lief ihm genau entgegen.
Mrs. Child glaubte, verrückt zu werden. »Nein, Cathy, nicht!« brüllte sie. »Das ist Wahnsinn, das ist verrückt! Nein, um Himmels willen, das kannst du nicht tun?«
Cathy hörte sie. Sie verkürzte die Distanz und hatte sogar die Arme vorgestreckt.
Für Mickey ideal. Er stieß sich ab und sprang in einem Halbbogen auf das Mädchen zu.
Da rannte auch Lorna…
***
Nein, ich konnte dem Körper nicht mehr ausweichen. Es war zu eng, zu glatt, außerdem hätte ich mir leicht den Hals brechen können. Ich mußte die Untote nehmen, wie sie kam.
Eine Sekunde konnte sich dehnen und gleichzeitig schnell verstreichen. Bei mir war dies der Fall. Ich hatte mich hart mit dem Rücken gegen Geländer und Wand gepreßt, hielt mich zusätzlich noch fest – und dann prallten wir zusammen.
Es war eine verflixt harte Kollision. In der Gestalt steckte die Kraft der Hölle. Sie hatte mich noch nicht beißen, sondern einfach umreißen wollen.
Fast wäre es ihr gelungen. Ich hielt mich mit aller Macht fest. Sie riß mich trotzdem zur Stufenmitte mit, wobei ich mich am Handlauf weiterhin festklammerte und mein Arm dabei immer länger zu werden schien.
Princess Perfect versuchte noch, sich an meiner Schulter festzuklammern, das gelang ihr nicht mehr. Die Krallenhand rutschte ab, und nicht nur sie, auch die Untote fiel.
Es war wie bei einem Stuntman, der seine Schau besonders gut abziehen wollte.
Sie prallte auf die erste Stufe, tickte von dort aus höher, überschlug sich, bekam Fahrt und rollte kopfüber die folgenden Stufen der Treppe hinab, wo sie dem Wasserfall immer näher kam und sich auf der glatten Fläche auch nicht mehr halten konnte.
Princess Perfect rutschte in das schmutzige Wasser hinein. Nun kam es darauf an. Ich hatte mich wieder gefangen wund wollte zuschauen, ob es dem fließenden Wasser tatsächlich gelang, diesen Körper zu vernichten.
Sie war bäuchlings hineingerutscht und unter die Strahlen geraten.
Da lag sie nun mit ausgebreiteten Armen. Das Schmutzwasser peitschte auf sie nieder. Wie lange, graue, zusammenhängende Fäden sah es aus.
Die Freaks schauten ebenso zu wie ich. Langsam schritt ich über die nassen Stufen.
Diesmal hatte ich das Kreuz hervorgeholt. Die Silberkette um mein Handgelenk geschlungen, bewegte ich mich sehr langsam vor.
Meine Lampe gab genügend Licht ab, um in dem Vorhang das erkennen zu können, was sich darin verbarg.
Durch den sich ausfächernden Lichtschein war die Untote gut zu erkennen. Sie lag wie ein breiter Schatten auf dem Boden. Das Wasser fiel schwer auf sie und rutschte erst dann über die Plattform hinweg in die halbe Röhre hinein.
Die Untote wollte sich erheben.
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