0585 - Unterwelt
Pfarrer«, erwiderte Harold Child, als er in den Regen tauchte. Er lief geduckt auf den schmalen Plattenweg, der naß schimmerte, und erreichte seinen ebenfalls dunkel glänzenden Toyota.
Bevor er einstieg, winkte er noch zurück. Der Pfarrer stand in der offenen Tür, das Gesicht zu einem Lächeln verzogen und grüßte ebenfalls mit erhobenem Arm.
Erst beim zweiten Versuch sprang der Wagen an. Harold rollte über das Kirchengelände und erreichte die Ausfahrt, die eine Lücke innerhalb einer mit Pflanzen bewachsenen Mauer bildete.
Der Himmel weinte.
In langen Fahnen strömte der Regen aus den Wolken. Die Tropfen peitschten in die Pfützen und schleuderten kleine Fontänen in die Höhe. Wind schüttelte die Kronen der Bäume. Manchmal sahen die Wolken aus, als wollten sie alles zerdrücken.
Harold Child fuhr nicht auf dem direkten Weg nach Hause. Er stoppte, als er die normale Straße erreicht hatte, schaltete die Innenbeleuchtung an und holte aus seiner rechten Tasche den Gegenstand hervor, der ihm so ungemein wichtig erschien.
Es war ein schlichtes Holzkreuz!
Hergestellt aus einem dunklen, knotig wirkenden Holz. Es hatte bei den Childs lange in einem Karton unter anderen Dingen gelegen. Erst am Abend hatte sich Harold wieder an das Kreuz erinnert und auch daran gedacht, was am letzten Tag geschehen war.
Durch seinen Kopf wirbelten Begriffe wie Vampire und Katzen, Blut und Tod. Er hatte nur eine Chance gesehen, sich zu schützen, nachdem die Polizei nicht reagierte.
Hin zum Pfarrer und das Kreuz durch geweihtes Wasser weihen lassen. Der Pfarrer hatte sich nicht erst lange überreden lassen, er war froh gewesen, daß ein Familienvater so etwas noch tat, um sein Haus unter den Schutz Gottes zu stellen.
Daran dachte Harold Child erst in zweiter Linie. Wichtiger und an erster Stelle stand für ihn die Jagd nach dem Geschöpf, das einmal eine völlig normale Katze gewesen war und sich nun auf furchtbare Art und Weise zu einem kleinen Monstrum verändert hatte.
Sie war zu einer Vampir-Katze geworden…
Harold Child schüttelte den Kopf, als er daran dachte. Er konnte es einfach nicht fassen, daß es so etwas gab, aber er fand sich mit den Tatsachen ab und unternahm auch etwas dagegen. Er konnte nur hoffen, daß es noch nicht zu spät war und er seine Familie nicht zu lange allein gelassen hatte. Bis zur Tageswende war noch Zeit, denn er ging davon aus, daß sich die Blutsauger immer erst dort sehen ließen.
Zwei Wagen huschten an seinem Toyota vorbei, schaufelten Wasser aus den Pfützen hoch. Einiges bekam auch die Seitenwand des japanischen Fahrzeugs ab.
Er folgte ihnen. Das rote Licht der Heckleuchten verschwamm in den Regenschleiern zu einer blutigen Suppe.
Blut, verflixtes und verdammtes Blut! Wenn Harold daran dachte, kamen ihm sofort die Vampire in den Sinn, besonders natürlich Kater Mickey.
Er war von einem Fremden gebissen und zu einem kleinen blutsaugenden Monstrum gemacht worden. Eine grauenhafte Vorstellung, daß die Katze zurückkehren konnte, um dort Blut zu saugen, woher sie auch stammte. Das wollte ihm nicht in den Sinn, dennoch spürte er, daß er der Wahrheit ein großes Stück näher gekommen war.
Am südlichen Stadtrand von London war die Natur äußerlich noch intakt. Auch die Childs hatten sich eine besondere Wohnlage ausgesucht, inmitten eines Gartengeländes, wo im Sommer die Innenstädter in den kleinen Lauben der Schrebergärten saßen, um sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen.
Die Childs wohnten als einzige Familie das ganze Jahr über auf diesem Gelände, zu dem zahlreiche Straßen und Wege hinführten.
Nur die Eingeweihten kannten die entsprechenden Abkürzungen, und zu diesen Menschen gehörte Harold.
Er verließ die normale Straße. Trotz des schlechten Wetters fuhr er in einen der schmalen Feldwege, auch wenn dieser vom langen Regen aufgeweicht worden war, so daß die Reifen an einigen Stellen regelrecht durchdrehten.
Der Weg schnitt, wie mit dem Lineal gezogen, durch ein breites Feld. Geisterhaft tanzte und schaukelte das Licht der Scheinwerfer über nasses Gras oder Gestrüpp. In alles hinein rann der Regen in langen, traurigen Bahnen. Nur wenn er durch das Licht fiel, glitzerten die Tropfen wie lackierte Perlen.
Harold fuhr weiter. Er war sehr konzentriert.
Oftmals verengte sich der Weg. An diesen Stellen stand in den tiefen Fahrspuren der Traktoren Wasser.
Der Mann umklammerte das Lenkrad so fest wie möglich. Immer wieder geriet der Wagen ins
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