0585 - Unterwelt
Blick auf die Uhr, wobei sie leicht erschrak, denn Harold hatte versprochen, gegen zehn zurückzusein. Jetzt war es schon einige Minuten später.
Sie stand noch auf der Schwelle, als sie von draußen Schritte hörte.
Ein Schatten erschien hinter dem Glas der Haustür, dann wurde sie nach innen gedrückt, als Harold Child aufschloß.
»Harold, endlich!« Die Frau seufzte die Begrüßung und faßte sich in Herzhöhe an die Brust.
Der Mann putzte seine Füße ab und verschwand mit seinen nassen Sachen sofort im Bad, um die Kleidung zu wechseln.
Lorna schaute ihm dabei zu. »Na, Harold, hast du Erfolg gehabt?«
Er lächelte schwach und deutete auf das Kreuz. Es lag auf dem Wannenrand. »Der Pfarrer hat es mir geweiht.«
»Gott sei Dank.«
»Das sage ich auch.« Er streifte sein Hemd ab und nahm aus einem Regal einen Pullover. Die trockene Cordhose hatte er bereits übergezogen. »Wie geht es Cathy?«
»Sie schläft.«
»Da bin ich beruhigt.«
»Ich nicht, Harold. Sie hat sich so ungewöhnlich benommen. Da komme ich nicht mehr mit.«
Seine blauen Augen schauten sie fragend an. »Wieso?«
»Cathy ist davon überzeugt, daß sie in dieser Nacht sterben und anschließend wieder aufwachen wird.«
»Ach…«
»Ja, Harold, das hat sie mehrere Male wiederholt. Immer und immer wieder. Sie wartet darauf, daß Mickey zu ihr kommt, sie beißt und sich an ihrem Blut labt.« Lorna hob die Schultern. »Eine schreckliche Vorstellung.«
»Das kannst du wohl sagen.« Harold nickte und griff nach dem Kreuz. »Wir werden versuchen, das zu ändern.«
»Wie denn?«
»Abwarten.« Er schob sich an seiner Frau vorbei und schlug den Weg zu Cathys Zimmer ein, wo das Mädchen noch immer auf dem Rücken lag, schlief und selig lächelte.
»Sie sieht aus, als würde sie sich freuen!« flüsterte ihr Vater.
»Das meine ich auch, und das beunruhigt mich so stark. Ich… ich weiß auch nicht mehr weiter.«
»Auf einen Tod kann man sich nicht freuen.«
»Sie schon. Cathy denkt immer nur an Mickey. Sie ist überzeugt davon, daß er sie besuchen wird.«
»Wir werden sehen.« Harold trat auf das Bett seiner Tochter zu und beugte sich herab. Dann hob er unterhalb des Kinns die Bettdecke an und legte das geweihte Kreuz behutsam auf Cathys Brust.
Anschließend streifte er die Decke wieder darüber.
»Du meinst, daß es tatsächlich hilft?« fragte Lorna.
Ihr Mann lachte. »Das will ich doch hoffen. Keine Sorge, bisher hat es noch kein Vampir geschafft, der Aura eines Kreuzes etwas entgegenzusetzen.«
»Nun ja, ich kenne mich da nicht aus.«
»Ich auch nicht, Lorna. Es ist nur die Erinnerung an gewisse Dinge, die ich früher einmal gelesen habe. Dabei denke ich nur an den Dracula-Roman. Da ging es auch um einen Vampir, der letztendlich unter dem Kreuz und dem gleichzeitigen Einfall von Licht zu Staub zerfiel. Ich hoffe, mit dieser Methode das Richtige getan zu haben.«
Er legte Lorna eine Hand auf die Schulter. »Laß uns gehen, wir werden im Wohnzimmer warten und die Türen offenlassen.«
»Warum nicht hier?«
»Es könnte sie beunruhigen. Hin und wieder werde ich nach ihr schauen, ob das Kreuz nicht verrutscht ist.«
»Du hast Nerven.«
»Das muß man.«
Im Wohnraum duftete es nach Kaffee, den Lorna gekocht hatte.
Als sie zwei Tassen füllte, rief sie: »Bist du denn wirklich davon überzeugt, daß Mickey kommen wird?«
»Ja, das bin ich.«
»Aber wie kannst du das so genau wissen?«
Harold saß. Er hatte beide Handflächen um die Kaffeetasse gelegt.
»Das ist ganz einfach, Lorna. Ich habe Mickey auf der Rückfahrt gesehen. Er begegnete mir auf dem Feld.«
»Und?«
Der Mann hob die Schultern und schaute zu, wie sich Lorna steif hinsetzte. »Nichts und? Ich konnte wieder fahren. Aber ich kann dir sagen, daß er sich nicht verändert hat. Mickey besitzt noch immer die Vampirzähne. Er wird also weiterhin auf der Jagd nach Blut sein. Es tut mir selbst leid, aber so ist das nun mal.«
»Ja, natürlich.« Lorna sprach ins Leere und hob dabei die Schultern. Sie persönlich konnte es nicht begreifen, daß es so etwas Grauenhaftes überhaupt gab. Dieser Fluch war urplötzlich über die Familie hereingebrochen. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet. Ein lieber, netter Kater entwickelte sich plötzlich zu einer kleinen Bestie.
So etwas war einfach unfaßbar.
Harold trank seinen Kaffee. Äußerlich war er die Ruhe selbst, in seinem Innern jedoch sah es anders aus. Da machte er sich schon seine Gedanken, und er unterschätzte
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