0586 - Gasthaus zur Hölle
rührte sich um keinen Zentimeter. Sie blieb dort, als hätte man sie festgeklebt und angenagelt.
Auch der zweite Versuch brachte mich nicht weiter. Jorge und Jacques hatten genau gewußt, was sie tun mußten, um mich außer Gefecht zu setzen.
Erschöpft und schwer atmend gab ich auf. Wenn ich mich zu sehr anstrengte, verbrauchte ich zuviel Sauerstoff. Das wiederum verkürzte mein Leben.
Also Ruhe finden, den Atem unter Kontrolle bekommen, um dann nachdenken zu können.
Aber worüber?
Gab es denn noch einen Ausweg? Ich hoffte in gewisser Hinsicht auf meinen Freund Suko. Der war bestimmt mißtrauisch geworden, vorausgesetzt, er hatte alle Hindernisse bei seinem Weg überwinden können. Erst einmal war ich auf mich allein gestellt.
Das Kreuz hielt ich auch jetzt fest. Der Druck des Metalls in meiner Hand brachte mich gedanklich wieder auf die Vorgänge zurück, die hinter mit lagen.
Jorge und Jacques hatten mich in das Grab legen wollen. Aber sie hatten es nicht geschafft, dafür gesorgt hatte das Kreuz nach meiner Aktivierung.
Wo lag der Grund?
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß mir der Talisman negativ gesonnen war, auch wenn ich für Hector de Valois’ angebliche Taten büßen sollte.
Nein, hier gab es noch ein anderes Problem, das einer Lösung bedurfte. Welches das war, da konnte ich mir die Antwort nicht geben.
Ich legte mich wieder auf den Rücken, winkelte den Arm an und hielt ihn so, daß ich mein Kreuz anschauen konnte. In der absoluten Finsternis sah ich natürlich nichts, hätte man meinen können, aber das Kreuz veränderte sich.
Der innere Kreis mit dem Pentagramm und den geheimnisvollen Zeichen darum, die etwas mit einer fernen magischen Astrologie zu tun hatten, begann zu glühen.
Es war zunächst nur ein schwaches, geheimnisvolles Leuchten und gleichzeitig ein Licht, das mir Hoffnung gab, als wäre es von dem Seher persönlich geschaffen worden.
Das Licht blieb nicht konzentriert.
Es fand seinen Weg über meinen Körper hinweg und strahlte gegen die Wände der Grabplatte, wobei Reste auch über die Decke hinwegstrichen.
Ein unheimliches, unerklärliches, magisches Spiel hatte seinen Anfang genommen.
Das Gestein, glatt und fugenlos, erlebte eine Veränderung. Ich hatte es als graue Masse in Erinnerung, der nun eine Veränderung widerfuhr, denn das von meinem Kreuz abgestrahlte Licht verteilte sich darauf, als wäre es damit bestrichen worden.
Der Stein blieb – aber er wurde zu einer »Leinwand«. Diesen Eindruck konnte ich nicht unterdrücken. Eine Leinwand, auf der sich möglicherweise etwas zeigte.
Wie ein Film…
Plötzlich war meine Furcht vergessen. Der Druck verschwand, ich spürte noch in meiner Kehle das leichte Kratzen, mehr nicht. Und aus dem Stein wuchs etwas hervor.
Dreimal das gleiche Bild. Rechts und links an den Wänden und über der Decke.
Dort erschien in dreifacher Ausfertigung immer das gleiche Gesicht. Ein Gesicht, das ich kannte, besonders auffallend wegen des Knebelbarts, der das männliche Aussehen unterstrich. Auf seinem Kopf saß eine Mütze mit einer Feder daran. Sie gab dem Mann ein verwegenes Aussehen und nahm mir die Furcht.
Hector de Valois zeigte sich mir. Ich sah ihn, vielleicht konnte sein in den Steinen sich zeigender Geist auch mich erkennen, jedenfalls sah er so aus, als wollte er mit mir Kontakt aufnehmen.
Die Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und ich hörte seine Worte, die nur in meinem Gehirn erklangen. »Du hast es also geschafft, mein guter Freund.«
Auch ich gab auf diese Art und Weise Antwort. Zunächst mit einem Lachen, dann mit »gesprochenen« Gedanken. »Was heißt schon geschafft? Ich liege hier in einem Grab, in dem ich ersticken und auch vermodern soll. Tut mir leid, Hector, das sehe ich anders.«
»Auch ich kenne das Grab. Ich habe es selbst ausgesucht, als der Friedhof angelegt wurde.«
»Für den Schatz?«
»So ist es.«
»Du wirst dich nicht gezeigt haben, wenn wir keine Zeit hätten. Bitte, noch bekomme ich genügend Luft. Vielleicht kannst du mir erklären, was es mit dem Schatz auf sich hatte.«
»Gern, deshalb bin ich gekommen. Außerdem… aber dazu komme ich später. Du weißt. Ich muß tief in die Vergangenheit zurückgreifen. Es war vor den Toren der französischen Stadt Clermont, als Papst Urban II. am 18. November zu der versammelten Menge rief: ›Das Heilige Grab ist in den Händen der Heiden. Befreit es! Ewige Paradiesfreuden, Vergebung der Sünden, Schulden und Zinsen sind euer Lohn.‹
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