0588 - AQUARIUS - Dämon aus der Tiefe
verschwanden, die Strudel legten sich, und der grauweiße Schaum, durchsetzt mit Spuren von tiefem Rot, löste sich auf. Nach einer kleinen Weile war die See so glatt, wie sie es die ganze Nacht über gewesen war, es hatte den Anschein, als wäre sie den Menschen jetzt wieder wohlgesonnen.
Jetzt, wo sie ihr Opfer erhalten hatte…
Aga Sutlej hockte in dem Ruderboot, noch immer fassungslos und benommen vor Entsetzen, und starrte die Stelle an, an der Ravi Bunjab hinabgezogen worden war. Ohne daß er es merkte, quollen ihm Tränen aus den Augen und rannen seine Wangen hinab. Er schluchzte leise…
Es dauerte eine Zeitlang, bis Aga sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Er zog sein Messer aus der Scheide und durchtrennte die Taue, mit denen das Fangnetz am Heck des Bootes befestigt war. Dann setzte er sich auf die Ruderbank, legte die Ruder in die Dollen und fing an zu pullen.
Lautlos glitt das kleine Boot auf die Küste zu.
Aga kauerte auf der Bank und ruderte automatisch, wie eine Maschine. Er blickte noch immer auf die Stelle, die Ravi zum Verhängnis geworden war. Tausend verschiedene Dinge schwirrten ihm durch den Kopf.
Resigniert fragte er sich, was er Urdu, Ravis Frau, sagen sollte. Und den drei Kindern seines Freundes, die er ebenso ins Herz geschlossen hatte wie seine eigenen beiden Söhne.
Er wußte es nicht.
Verdrossen ruderte er weiter, hing seinen düsteren Gedanken nach, bis ihm mit einem Mal ein Name in den Sinn kam. Ein Name, der in Punaji seit jeher bloß hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wurde. Wenn überhaupt…
Agbar Nab ob.
Bis heute war er eigentlich immer der Meinung gewesen, daß die Legenden, die sich um Agbar Nabob rankten, nichts weiter als Schauermärchen waren, die man den Kindern nachts am Feuer erzählte.
Jetzt aber war er sich dessen nicht mehr so sicher.
Was, wenn Agbar Nabob tatsächlich existierte?
Wenn die alten Überlieferungen wahr waren?
Was dann?
Aga wußte darauf keine Antwort. Doch ihm war klar, daß sein Heimatdorf und dessen Bewohner in diesem Fall in großer Gefahr schwebten, möglicherweise die ganze Region Kerala.
Denn Agbar Nabob kannte keine Gnade.
Und wenn die alten Legenden stimmten, gab es niemanden, der ihn aufhalten konnte.
Die Katastrophe würde ihren Lauf nehmen…
***
Vier Monate später…
Zamorra lenkte den Landrover über die schlaglochübersäte Piste, die sich wie eine Klapperschlange durch das Kerala-Tal dem Ozean entgegenwand. Mit vor Konzentration leicht zusammengekniffenen Augen blickte er durch die Frontscheibe, auf der die kläglichen Überreste von mindestens dreißig verschiedenen Insektenarten klebten, und er bemühte sich krampfhaft darum, den Geländewagen auf der Fahrbahn zu halten. Was gar nicht so einfach war, da die heftigen Regenfälle der letzten Tage den unasphaltierten Weg teilweise unterspült hatten.
Häufiger blieb der Rover in knietiefen Schlammlöchern stecken, doch mit Hilfe des Allradantriebs schaffte es Zamorra immer wieder, den Wagen freizubekommen, ohne daß sie aussteigen und schieben oder gar die Motorwinde einsetzen mußten, die vorn am Fahrzeug montiert war.
»Wie weit ist es noch bis nach Bhadravar?« fragte Nicole Duval, Zamorras langjährige Sekretärin, Lebens- und Kampf gefährtin in Personalunion, die auf dem Beifahrersitz saß. Sie trug einen kurzärmligen Overall, der farblich exzellent mit dem üppig wuchernden Dschungel harmonierte, durch den sie seit heute morgen fuhren, seit sie aus Sholapur aufgebrochen waren.
Zamorra zuckte die Schultern. Er antwortete ihr, ohne den Blick von der Piste zu wenden, die von den Scheinwerfern aus der Finsternis gerissen wurde. »Keine Ahnung. Möglich, daß das Dorf hinter der nächsten Kurve liegt. Auch möglich, daß wir noch ein Dutzend Meilen fahren müssen, bis wir da sind. In dieser Gegend gibt es ungefähr so viele Hinweisschilder wie Eisverkäufer in der Wüste Gobi. Und was das Kartenwerk angeht, hm…«
Nicole seufzte. »Du verstehst es wirklich, jemandem Mut zu machen…«
Zamorra grinste jungenhaft. »Ja, nicht wahr?«
Dabei verspürte er selbst ebenfalls keine große Lust, heute noch lange unterwegs zu sein. Er hatte, was selten vorkam, inzwischen Kopfschmerzen von der langen Fahrerei. Hinzu kam, daß seine Hoffnung, Charr Takkar zu finden, allmählich zu schwinden begann. All die Meilen, die sie in den letzten paar Wochen auf der Suche nach dem Sauroiden zurückgelegt hatten, schienen vollkommen vergebens gewesen zu sein.
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