0590 - Ritter Tod
Oberkörper hing eine kurze Lederweste, in der Farbe passend zur Maske, in die Sehschlitze geschnitten waren.
Das Bild stellte eine Szene kurz vor der Enthauptung der Frau dar. Eine der wenigen ohne Blut.
Suko war neben dem Henker stehen geblieben. Die Figur überragte ihn um Haupteslänge. Anne schien sich tatsächlich den härtesten und größten Henker ausgesucht zu haben.
»Netter Bursche«, meinte Suko, als er an der Figur hochblickte.
»Gib acht, dass er sein Schwert nicht fallen lässt und dich um einen Kopf kürzer macht.«
»Lieber nicht, den brauche ich noch.«
Während Suko stehen blieb, umkreiste ich die beiden Figuren.
Auf dem Boden fielen mir die dunklen Flecken auf. Ich leuchtete sie an und sah diesmal echtes Blut.
»Hier hat er gewütet«, flüsterte ich, und dabei dachte ich an die Verletzten, die oben lagen.
»Aber wo steckt er?«
»Frag mich was Leichteres.«
Wir sahen ihn nicht, doch wir ließen es uns nicht nehmen, den Henker zu untersuchen.
Nein, der lebte nicht. Das war auch kein Zombie oder irgendeine dämonische Abart, wir hatten es bei diesem Henker mit einer originalen Wachsfigur zu tun.
»Wie können wir ihn finden?« murmelte ich.
»Indem wir Lockvögel spielen.«
Ich nickte. »Eine gute Idee, Suko. Sollen wir ihn herbeipfeifen?«
»Wohl kaum.« Suko bewegte sich auf der Stelle. Im Hintergrund schimmerte es feuerrot. Es waren künstliche Flammen.
Diese Szene zeigte den großen Londoner Brand, der im Jahre 1666 ausgebrochen war. Entflammt war er im Bäckerladen eines gewissen Thomas Faryner. Man hatte ihn zunächst kaum beachtet.
Tage später jedoch hatte er fast ganz London vernichtet. Es war ein besonders trockener Sommer gewesen, und Stürme hatten für eine rasche Ausweitung des Flammenmeeres gesorgt.
Der Bäckerladen war ebenfalls nachgebaut worden. Er lag in einer schmalen, düsteren Gasse. Hinter dem Sprossenfenster war schummriges rotes Licht zu sehen.
Einige Yards weiter und aufgebaut in einem Halbkreis brannte dann London. Man hatte zahlreiche Häuser so gut nach- und aufgebaut, dass sie aus der Distanz betrachtet echt wirkten. Im Hintergrund explodierten Feuerwände unter einem wahren Funkenregen, der, zusammen mit knallgelben Feuerzungen, in den dunklen Himmel stob.
Normalerweise gab es hier Action. Schauspiele von einer halben Stunde Länge, bei der Gruppen von etwa dreißig Personen in das Chaos des damaligen Stadtuntergangs eingebunden wurden. Ein historisches, fast realistisches Schauspiel, das alle Sinne eines Zuschauers gefangen nahm.
Wir schauten genauer hin. Diese Kulisse bot im Prinzip zahlreiche Möglichkeiten, um sich zu verstecken, auch für einen Amokläufer, der erst einmal genug von seiner Tat hatte.
Ich nickte Suko zu. »Durchsuchen wir das alte London?«
»Das ist besser, als hier herumzustehen.«
»Meine ich auch.«
Wer sich näher mit den Flammenhäusern beschäftigen wollte, musste sehr dicht an sie heran oder sich Lücken suchen, um an die Rückseiten zu gelangen. Wir gingen sehr langsam an der typischen, spätmittelalterlichen Fassade der Holzbauten entlang. Schauten hinein in die Fenster, die von rotem Licht ausgefüllt waren, und schlüpften schließlich durch einen tunnelartigen Torbogen, auf dessen Wänden sich der Widerschein des Feuers spiegelte.
Es war eine Weltuntergangsstimmung, die es damals in London gegeben hatte. Sie bedrückte mich. Es gab jedenfalls Plätze, an denen ich mich wohler fühlte.
Unsere Blicke suchten überall. So ließen wir auch die Decke nicht aus und sahen gegen den rosafarbenen Himmel.
Auf einem Platz blieben wir stehen. Wer sich hier aufhielt, war umgeben von mächtigen Flammensäulen, hinter denen die einstürzenden und brennenden Fassaden verschwanden.
Genau dort bewegte sich etwas.
Zuerst dachte ich an meinen Schatten, nur stand ich still. Ebenso Suko. Ich zischte ihm eine Warnung zu. Mein Freund duckte sich, griff zur Waffe und sah nichts mehr, denn der Schatten war zur Ruhe gekommen. Hatte ich mich getäuscht?
»Was war denn?« fragte Suko leise.
»Wenn ich das genau wüsste. Ich hatte das Gefühl, hinter den Flammen einen sich bewegenden Schatten zu sehen.«
»Und jetzt?«
»Ist er verschwunden.«
Suko verzog die Mundwinkel. »War da nicht der Wunsch der Vater des Gedankens?«
»Das bestimmt nicht.«
Ich hatte sehr ernst gesprochen, auch Suko spottete nicht mehr, sondern suchte mit mir. Es war schwer, in diesem Chaos etwas zu erkennen.
Es passierte dann urplötzlich. Hinter einem
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