0591 - Der Blut-Graf kehrt zurück
sah einen stämmigen Mann im weißen Arztkittel, der ihn mißtrauisch beäugte. Am Kittel heftete ein Namensschild, das den Mann als Will Travers auswies.
»Ich bin heute zum ersten Mal hier«, sagte Morano sanft. »Ich suche den Leichnam von Sue Tanner. Sie muß vorgestern hergebracht worden sein. Ich bin Inspektor Tannamoor, Scotland Yard.«
»Mir hat keiner was davon gesagt, daß sich der Yard für Tanner interessiert«, brummte Travers. »Und das am Sonntag! Scheint ja mächtig wichtig zu sein. Wollen Sie die Frau sehen?«
»Sicher.«
»Dann kommen Sie mal mit. Wieso tragen Sie eigentlich Ihren Besucherausweis nicht?«
»Oh, scheinbar hat man versäumt, mir einen zu geben. Es ging alles ziemlich schnell. Man hat mir nicht mal gesagt, wo ich suchen soll.«
»Bestimmt nicht in dieser Etage. Der Leichnam befindet sich noch im Kühlfach, er soll heute nachmittag obduziert werden. Das hätte eigentlich schon gestern passieren sollen, aber wir sind in dieser Woche nur zu zweit und bekommen hier alle Toten aus einem Umkreis von dreißig Meilen herein. Da stauen sich die Leichen schon mal. Ja, und deshalb darf ich jetzt auch am Sonntag noch hier herumtanzen. Als ob ich auf das Geld für die Überstunden Wert legte …«
Wenig später betraten sie einen nüchtern und unfreundlich wirkenden Raum.
Travers zog eines der Schubfächer auf. »Hier … sieht nicht besonders gut aus.«
Travers lüftete das Tuch vom Gesicht der Frau.
Und dann wunderte er sich, »Oh, ist es auch das richtige Fach? Gestern …«
»Was war gestern?« fragte Morano.
»Da sah sie regelrecht vertrocknet aus. Eine blutleere Mumie.«
Das war sie jetzt nicht mehr.
Sie wirkte zwar auch nicht wie das blühende Leben, aber blutleere Vampiropfer sahen anders aus.
Es war eindeutig Sue Tanner. Morano kannte jeden Zentimeter ihres Körpers. Es gab keinen Zweifel.
Morano berührte ihre kalte Haut. Er schob auch ihre dünne Lippen zurück und betastete das Gebiß. Es fühlte sich normal an, aber das bedeutete nichts. Seine eigenen Eckzähne waren momentan ja auch normal kurz.
Morano konnte allerdings den Keim in Tanner spüren. Sie war zu einer Vampirin geworden.
Ein anderer hatte von ihr getrunken und sie zur Untoten gemacht. Nur das elektrische Licht dieses Kühlraums verhinderte, daß sie zu Staub zerfiel. Wäre normales Tageslicht durch ein Fenster in diesen Raum gefallen, dann gäbe es den toten Körper jetzt nicht mehr, sondern nur noch ein wenig Staub und Asche.
Die Obduktion würde niemals stattfinden. Im gleichen Moment, in dem das Tuch vom Körper der Frau gezogen wurde und die Bahre mit ihr unter einem Fenster stand, durch das Sonnenlicht einfiel, würde dieser Leib zerfallen. Die Ärzte würden sich ganz schön wundern.
Morano brauchte nichts zu tun, würde die Vampirin nicht unschädlich machen müssen. Und er würde auch nichts tun, um zu verhindern, daß sie endgültig im Sonnenlicht starb. Er hatte nie gewollt, daß sie zu einer Untoten wurde, er hatte ihr die Chance gegeben, als normaler Mensch zu sterben.
Ein anderer hatte dafür gesorgt, daß sie jetzt hier lag.
Hier, und nicht in einem Versteck und in einem Sarg mit Heimaterde!
Wer war es gewesen?
Wer hatte zuletzt von ihrem Blut getrunken und damit die Umwandlung eingeleitet?
Morano überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, das herauszufinden. Im Wachzustand könnte er Sue befragen, aber sie schlief und würde erst erwachen, wenn es draußen Nacht wurde, unabhängig von den Lichtverhältnissen vor Ort.
Sie konnte ihre Körperfunktionen sicher noch nicht so steuern, wie Morano es in all den Jahrhunderten gelernt hatte. Und wenn er sie jetzt zu wecken versuchte, war sie auch dann nicht ansprechbar. Ihr Gehirn würde um diese Zeit nicht richtig funktionieren.
Sie gehörte nicht zu den Tageslichtvampiren wie Tan Morano, das spürte er.
Deshalb würde sie auch nie mehr erwachen – da die Obduktion vorher stattfinden sollte. Und das bedeutete so oder so ihr Ende.
Aber da war noch etwas … Eigenartiges.
»Wann ist sie eigentlich gefunden worden? Ich meine, um welche Uhrzeit?«
Travers zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Da müssen Sie Ihre Kollegen fragen, die haben sie ja hergebracht, Sorry, aber um solche Kleinigkeiten können wir uns hier nicht kümmern. Wir stellen den Todeszeitpunkt und die Ursache fest, aber wann die Leiche gefunden wurde, da mögen sich bitteschön andere drum kümmern – Sir, sind wir jetzt hier fertig? Ich habe nämlich noch einiges
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