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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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unebenes, aber doch harmloses Stück Land. Die Vorsichtigen würden es meiden, es klar als das erkennen, was es war. Die Unschuldigen oder Unachtsamen würden versuchen, es zu überqueren, und durch die trügerische, dünne Decke in das faulige Wasser darunter einbrechen.
    »Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrer Tochter jetzt, Mrs. Spence?« fragte er. »Hört sie jetzt, wo der Pfarrer tot ist, auf Sie?«
    Juliet Spence zog die Handschuhe aus dem Ärmel ihres Pullovers. Sie schob ihre Hände hinein. Es war klar, daß sie wieder an die Arbeit gehen wollte. »Maggie hört auf niemanden«, sagte sie.

    Lynley legte eine Kassette ein und drehte das Radio in seinem Bentley lauter. Helen wäre mit seiner Wahl zufrieden gewesen, Haydns Es-Dur-Konzert mit dem Trompeter Wynton Marsalis. Heiter und beschwingt stand dieses Konzert, bei dem die Geigen den Kontrapunkt zu den klaren Tönen der Trompeten lieferten, im krassen Gegensatz zu seiner gewöhnlichen Vorliebe für »irgend so einen düsteren Russen. Du meine Güte, Tommy, haben die denn nie irgendwas komponiert, was auch nur im geringsten hörerfreundlich ist? Wieso waren die so düster? Meinst du, das liegt am Klima?«
    Er lächelte bei dem Gedanken an sie. »Johann Strauß«, pflegte sie zu verlangen. »Ja, schon gut, ich weiß schon. Einfach zu prosaisch für deinen erhabenen Geschmack. Dann eben einen Kompromiß. Mozart.«
    Und schon pflegte sie Eine kleine Nachtmusik einzulegen, das einzige Stück von Mozart, das Helen mit Sicherheit erkennen konnte. Sie wollte nicht zur »absoluten Philisterin« werden, war ihre erklärende Entschuldigung.
    Er fuhr in südlicher Richtung, vom Dorf weg. Er schob die Gedanken an Helen weg. Unter kahlen Bäumen hindurch fuhr er zum Hochmoor hinaus und dachte dabei über einen der grundlegenden Lehrsätze der Kriminologie nach: Bei vorsätzlichem Mord besteht zwischen dem Mörder und dem Opfer stets eine Beziehung. Das trifft nicht zu bei Serienmorden, zu denen der Mörder von Zwängen getrieben wird, die der Gesellschaft, in der er lebt, unbegreiflich sind. Und auch bei einem Verbrechen aus Leidenschaft, wenn ein unerwarteter, vorübergehender, aber dennoch heftiger Ausbruch von Zorn, Eifersucht, Rachsucht oder Haß zum Mord führt, trifft dies nicht immer zu. Etwas ganz anderes ist dagegen ein Zufallsverbrechen, wo die Mächte des Schicksals den Mörder und das Opfer unabänderlich zusammenführen. Der vorsätzliche Mord ergibt sich aus einer Beziehung. Prüft man die Beziehungen des Opfers, so stößt man unvermeidlich auf den Mörder.
    Dieses Stück Weisheit war Teil der Bibel jedes Polizeibeamten. Es ging Hand in Hand mit der Tatsache, daß die meisten Opfer ihren Mörder gekannt hatten und häufig dem Opfer sehr nahestehende Personen die Täter sind. Es war gut möglich, daß Juliet Spence den Pastor Robin Sage infolge eines schrecklichen Versehens getötet hatte, mit dessen Konsequenzen sie sich ihr Leben lang würde quälen müssen. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß ein Naturfreund die falsche Wurzel oder Blüte, den falschen Pilz oder die falsche Frucht gepflückt hatte und durch diesen Irrtum den eigenen Tod oder den eines anderen Menschen herbeigeführt hatte. Aber wenn St. James recht hatte - wenn Juliet Spence selbst den kleinsten Bissen von dem Giftwasserschierling nicht hätte überleben können, wenn die Symptome Fieber und Erbrechen sich überhaupt nicht auf eine Schierlingsvergiftung zurückführen ließen -, dann mußte es eine Verbindung zwischen Juliet Spence und dem Mann geben, der von ihrer Hand gestorben war. Und wenn das zutraf, schien diese Verbindung Juliets Tochter, Maggie, zu sein.
    Die höhere Schule, ein unscheinbarer Backsteinbau an einer Straßenecke, war nicht weit vom Zentrum Clitheroes entfernt. Es war zwanzig vor zwölf, als er auf den Parkplatz fuhr und den Wagen in eine Lücke zwischen einem schon antiken Austin-Healey und einem Golf jüngeren Modells mit Kindersitz lenkte.
    Nach den leeren Gängen und den geschlossenen Türen zu urteilen, war im Augenblick Unterricht. Die Verwaltungsbüros waren gleich im Erdgeschoß, links und rechts vom Eingang. Irgendwann hatte man schwarze Lettern auf die Milchglasfenster in den Türen gesetzt, doch die Jahre hatten die Buchstaben in rußfarbene Sprenkel zersetzt, aus denen man mit Müh und Not die Wörter Direktorin, Sekretariat, Lehrerzimmer erschließen konnte.
    Er entschied sich für die Direktorin. Nach einem lauten und durch

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