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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Verständigungsprobleme in die Länge gezogenen Wortwechsel mit einer etwa achtzigjährigen Sekretärin, die er beim Eintreten über einem Strickzeug dösend vorfand, wurde Lynley in das Arbeitszimmer der Direktorin geführt.
    Mrs. Crone widersprach allen Erwartungen, die er sich nach der Begegnung mit der Sekretärin gemacht hatte. Sie war jung, trug einen knallengen Rock, der gut zehn Zentimeter über ihrem Knie aufhörte, und dazu eine überlange Jacke mit Schulterpolstern und riesigen Knöpfen. An ihren Ohren hingen große goldene Scheiben, um den Hals hatte sie eine passende Kette, und die Schuhe mit den hohen, bleistiftdünnen Absätzen lenkten den Blick unwiderstehlich auf ein Paar prächtiger Beine. Sie war die Art von Frau, die zu eingehender Betrachtung verlockte, und Lynley, der sich zwang, den Blick auf ihr Gesicht gerichtet zu halten, fragte sich, was die Schulbehörde veranlaßt hatte, einem solchen Geschöpf diesen Posten zu geben. Sie war bestimmt noch keine dreißig Jahre alt.
    Er schaffte es, sein Anliegen vorzubringen, ohne sich länger auszumalen, wie sie nackt aussehen mochte. Fluch der Männlichkeit: Immer fühlte Lynley sich in der Gegenwart einer schönen Frau zu einem knieschlotternden Häufchen Haut, Knochen und Testosteron reduziert. Er wollte gern glauben, daß diese Reaktion auf weibliche Reize nichts damit zu tun hatte, wer er wirklich war und wem seine Loyalität galt. Aber er konnte sich Helens Reaktion auf dieses selbstverständlich völlig belanglose Ringen mit der Fleischeslust vorstellen, deshalb versuchte er, sein Verlangen mit Wendungen wie reine Neugier und wissenschaftliches Interesse hinwegzuerklären, und rechtfertigte es im stillen mit Lieber Himmel, deine Reaktion ist doch völlig übertrieben, Helen, als wäre sie anwesend, stünde hier in der Ecke, beobachtete ihn schweigend und kannte jeden seiner Gedanken.
    Maggie Spence hatte gerade Latein, teilte ihm die Schulleiterin mit. Ob die Sache nicht bis zur Mittagspause Zeit habe? In einer Viertelstunde.
    Nein, die Sache dulde keinen Aufschub. Und selbst wenn, würde er es vorziehen, mit dem Mädchen in aller Stille Kontakt aufzunehmen. In der Mittagspause, wenn es überall von Schülern wimmle, bestünde doch die Chance, daß man sie mit ihm sehen würde. Und er würde dem Kind gerne jede Peinlichkeit ersparen, soweit das in seiner Macht stehe. Es sei gewiß nicht leicht für sie, daß die Polizei sich nun wieder für ihre Mutter interessierte. Ob Mrs. Crone die Mutter übrigens kenne?
    Sie habe sie beim Elternsprechtag im letzten Frühjahr kennengelernt. Eine sehr nette Frau. Streng, aber sehr liebevoll mit Maggie, offensichtlich sehr besorgt um das Kind. Die Gesellschaft könnte mehr Eltern dieser Art gebrauchen, meinen Sie nicht, Inspector?
    In der Tat. Da müsse er Mrs. Crone zustimmen. Aber könne er denn nur Maggie sehen...?
    Ob ihre Mutter wüßte, daß er hier in der Schule sei?
    Wenn Mrs. Crone sie anrufen wolle...
    Die Direktorin warf ihm einen scharfen Blick zu und musterte dann seinen Dienstausweis mit so konzentrierter Aufmerksamkeit, daß er glaubte, sie würde gleich darauf beißen, um zu prüfen, ob er echt sei. Schließlich reichte sie ihm das Papier zurück und sagte, sie würde das Mädchen holen lassen, wenn der Inspector so gut sein würde, einen Moment zu warten. Er könnte sich ruhig hier in diesem Zimmer mit dem Mädchen unterhalten, sagte sie, da sie selbst auf dem Weg in den Speisesaal sei, wo sie während der Pause Aufsicht habe. Sie erwarte jedoch, sagte sie warnend, bevor sie ging, daß der Inspector Maggie nicht zu lange in Anspruch nehmen würde; wenn das Mädchen um Viertel nach zwölf noch nicht im Speisesaal sein sollte, würde sie jemanden schicken, um sie holen zu lassen. Ob das klar sei? Ob sie einander verstanden hätten?
    Aber selbstverständlich.
    Keine fünf Minuten später öffnete sich die Tür, und Maggie Spence kam herein. Lynley stand auf. Das Mädchen schloß die Tür hinter sich mit übertriebener Sorgfalt und völlig geräuschlos. Dann blieb sie stehen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf gesenkt.
    Er wußte, daß er selbst im Vergleich zu der heutigen Jugend relativ spät seine Unschuld verloren hatte - auf enthusiastisches Betreiben der Mutter eines seiner Freunde während der Winterferien in seinem letzten Jahr in Eton. Er war gerade achtzehn geworden. Aber auch wenn sich die Sitten geändert hatten und sexuelle Freizügigkeit unter den Jugendlichen praktisch gang und

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