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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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der Polizei gestatten würde, Angst oder Schmerz zu zeigen. »Er hatte keine Kinder. Er war nicht einmal verheiratet. Ein Rat, der aus vergleichbarer Erfahrung gegeben wird, ist etwas ganz anderes als einer, der lediglich auf der Lektüre theoretischer Bücher und einer glorifizierenden Vorstellung des heilen Familienlebens basiert. Wie hätte ich mich mit seinen Kümmernissen identifizieren können?«
    »Und trotzdem haben Sie nicht mit ihm gestritten?«
    »Nein. Wie ich schon sagte, ich war bereit, mir anzuhören, was er zu sagen hatte. Ich habe es für Maggie getan, weil sie ihn gern hatte. Und das ist auch schon alles. Ich hatte meine Meinung. Er hatte seine. Er war der Auffassung, Maggie sollte Verhütungsmittel benützen. Ich war und bin der Meinung, sie sollte aufhören, sich viel zu früh mit sexuellen Beziehungen das Leben schwer zu machen. Meiner Meinung nach ist sie einfach noch nicht soweit. Aber er meinte, es sei zu spät, um da noch etwas rückgängig zu machen. Wir waren uns ganz einfach darin einig, daß wir uns nicht einig waren.«
    »Und Maggie?«
    »Was?«
    »Auf welcher Seite stand sie bei dieser Auseinandersetzung?«
    »Wir haben darüber gar nicht gesprochen.«
    »Hat sie mit Sage darüber gesprochen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Aber die beiden waren befreundet.«
    »Sie hatte ihn gern.« »War sie oft mit ihm zusammen?«
    »Hin und wieder.«
    »Mit Ihrem Wissen und Ihrer Billigung?«
    Sie senkte den Kopf, stieß mit kurzen, abgerupften Bewegungen mehrmals die Fußspitze in die Erde. »Maggie und ich waren einander immer sehr nahe, bis diese Geschichte mit Nick anfing. Ich wußte es also immer, wenn sie mit dem Pfarrer zusammen war.«
    Ihre Antwort verriet alles: Furcht, Liebe, Angst. Er fragte sich, ob diese Gefühle mit jeder Mutterschaft Hand in Hand gingen.
    »Was hatten Sie an jenem Abend für ihn zu essen gemacht?«
    »Lamm. Minzgelee. Erbsen. Pastinaken.«
    »Und wie verlief der Abend?«
    »Wir haben miteinander gesprochen. Und er ging dann kurz nach neun.«
    »Fühlte er sich schlecht?«
    »Er hat nichts davon gesagt. Er sagte nur, er hätte noch einen langen Weg vor sich, und es wäre wohl besser, wenn er ginge, weil es geschneit hatte.«
    »Haben Sie ihm angeboten, ihn nach Hause zu fahren?«
    »Es ging mir nicht gut. Ich dachte, es wäre die Grippe. Ich war, ehrlich gesagt, ganz froh, daß er ging.«
    »Kann es sein, daß er auf dem Heimweg noch irgendwo einen Besuch gemacht hat?«
    Ihr Blick wanderte zum Herrenhaus hinauf, von dort zum Eichenwald dahinter. Sie schien eine solche Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dann jedoch sagte sie mit Entschiedenheit: »Nein. Hier in der Nähe ist das Pförtnerhäuschen - da wohnt seine Haushälterin, Polly Yarkin -, aber um dort hinzukommen, hätte er einen ziemlich großen Umweg machen müssen, und ich kann mir eigentlich nicht denken, was für einen Grund er gehabt haben sollte, Polly zu besuchen, die er doch sowieso jeden Tag im Pfarrhaus sah. Außerdem ist es einfacher, auf dem Fußweg ins Dorf zurückzukommen. Und Colin hat ihn ja am nächsten Morgen auch auf dem Fußweg gefunden.«
    »Und Sie kamen, obwohl Sie sich an diesem Abend selbst so schlecht fühlten, nicht auf die Idee, ihn anzurufen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen?«
    »Ich brachte mein Unwohlsein gar nicht mit dem Essen in Verbindung. Ich habe ja schon gesagt, ich fürchtete, eine Grippe zu bekommen. Hätte er im Weggehen etwas davon gesagt, daß er sich nicht wohl fühlte, so hätte ich ihn vielleicht angerufen. Aber er hatte nichts davon erwähnt. Wie sollte ich also darauf kommen?«
    »Und doch ist er noch unterwegs gestorben. Wie weit von hier ist die Stelle, an der man ihn fand? Anderthalb Kilometer? Oder weniger? Es muß ihn sehr schnell erwischt haben, nicht wahr?«
    »Ja. Anscheinend.«
    »Es würde mich interessieren, wie es kommt, daß er sterben mußte und Sie nicht.«
    Sie hielt seinem Blick stand. »Das kann ich nicht sagen.«
    Zehn lange Sekunden des Schweigens wartete er darauf, daß sie den Blick von ihm abwenden würde. Als sie es nicht tat, nickte er schließlich und blickte seinerseits zum Weiher. An den Rändern, sah er, hatte sich eine schmutzige Eisschicht gebildet, einer Wachshaut ähnlich, die die Schilfgräser einschloß. Mit jeder Nacht und jedem weiteren Frost würde sich diese Haut mehr zur Mitte des Wassers hinausschieben. Ganz zugedeckt, würde der Weiher nicht anders aussehen als die hartgefrorene, bereifte Erde rundherum, wie ein

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