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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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mißhandelt und sie dann wie ein Bündel alter Kleider liegengelassen hatte -, war das Schlimmste daran gewesen, daß er der Mann war, den sie liebte. Und wenn der Mann, den sie liebte, ihr dies antun konnte, ihr zeigte, wer der Herr war und wer die Sklavin, dann war das, was sie für Liebe gehalten hatte, nichts. Denn wenn man jemanden liebte und wenn der andere wußte, daß man ihn liebte, dann, meinte sie, würde er doch darauf achten, einem nicht weh zu tun. Auch wenn seine Liebe vielleicht nicht so groß war, würde er die Gefühle, die man ihm entgegenbrachte, achten und eine gewisse zärtliche Zuneigung verspüren. Denn so ging man doch mit den Menschen um.
    Aber wenn das nicht so war, wenn die Wahrheit des Lebens eine andere war, dann wollte sie nicht mehr leben. Sie würde sich in die Wanne legen und sich dem Wasser überlassen. Sollte es sie reinigen und töten und davontragen.

19
    »Sieh dir dies hier mal an.«
    Lynley reichte St. James den Hefter mit Fotografien über den Tisch. Er nahm sein Bierglas und dachte daran, Die Kartoffelesser geradezuhängen oder den Staub von Rahmen und Glas von Die Kathedrale von Rouen abzuwischen, um zu sehen, ob sie wirklich, wie es schien, im vollen Sonnenlicht stand. Deborah schien seine Gedanken zumindest zu ahnen. Sie murmelte: »Ach verflixt, das macht mich ganz verrückt«, und richtete den Van-Gogh-Druck gerade, ehe sie sich wieder neben ihrem Mann aufs Sofa fallen ließ. Lynley sagte: »Gott segne dich, mein Engel«, und wartete auf St. James' Reaktion auf das Material, das er aus Clitheroe mitgebracht hatte.
    Dora Wragg war so freundlich gewesen, sie im Aufenthaltsraum für Hotelgäste zu bedienen. Das Pub war zwar für den Nachmittag schon geschlossen, aber als Lynley von seinen Besuchen bei Maggie, der Polizei und dem Gerichtsarzt zurückgekehrt war, hatten am heruntergebrannten Kaminfeuer noch zwei ältere Frauen in langen Hosen und Wanderstiefeln gesessen. Obwohl sie in ein angeregtes Gespräch vertieft waren und nicht anzunehmen war, daß sie sich für anderes interessieren würden, hatte Lynley nach einem Blick auf ihre neugierigen, scharfen Augen Diskretion für ratsam gehalten.
    Er wartete also, bis Dora die Getränke auf den Tisch im Aufenthaltsraum gestellt und sich in die unteren Regionen des Gasthauses entfernt hatte, ehe er seinem Freund den Hefter reichte. St. James sah sich zuerst die Fotos an. Deborah warf nur einen Blick darauf, schauderte und sah rasch wieder weg. Lynley konnte es ihr nicht verübeln.
    Die Fotografien von diesem speziellen Todesfall waren aus irgendeinem Grund beunruhigender als vieles, was er im Lauf seiner Tätigkeit gesehen hatte, und zunächst konnte er gar nicht verstehen, weshalb. Ihm waren die vielfältigen Todesbilder schließlich nicht fremd. Der Anblick eines Erdrosselten - das blau verfärbte Gesicht, die hervorquellenden Augen, der Blutschaum vor dem Mund - war nichts Ungewohntes für ihn. Er hatte Tote gesehen, die erschlagen worden waren. Er hatte eine Vielfalt von Messerverletzungen untersucht - von der durchgeschnittenen Kehle bis zum aufgeschlitzten Bauch. Er hatte Menschen mit abgerissenen Gliedern und verstümmelten Körpern gesehen, die durch Bomben oder bei Schießereien ums Leben gekommen waren. Doch dieser Tod hatte etwas an sich, das ihn ganz persönlich erschreckte, aber er konnte nicht sagen, was es war. Deborah tat es für ihn.
    »Das muß ein langes, grausames Sterben gewesen sein«, murmelte sie. »Der arme Mann.«
    Genau das war es. Der Tod war nicht von einem Moment auf den anderen über Robin Sage gekommen, nicht in Gestalt eines kurzen, gewaltsamen Überfalls mit Schußwaffe, Messer oder Drahtschlinge, dem auf den Fuß gnädiges Vergessen folgte. Er hatte ihn langsam zu sich geholt, so langsam, daß Sage Zeit blieb, zu erkennen, was geschah, und schrecklich zu leiden. Die Fotografien gaben das wieder.
    Es handelte sich um Farbaufnahmen der Polizei Clitheroe, aber was sie zeigten, war vorherrschend schwarzweiß. Weiß der frischgefallene Schnee auf dem Boden und der Mauer, neben der der Tote lag. Schwarz der Tote selbst, in der Kleidung des Geistlichen, der schwarze Mantel um Hüften und Taille zusammengeschoben, als hätte der Pfarrer versucht, sich aus ihm herauszuwinden. Doch selbst hier siegte das Schwarz nicht ganz über das Weiß, denn der Tote war, wie die Mauer, nach der er die Hand ausstreckte, von einer feinen weißen Schneeschicht bedeckt. Sieben Fotografien bezeugten dies, dann hatte

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