06 - Denn keiner ist ohne Schuld
ausgestreckt, mit hochgeschobenem Pullover und heruntergerissenem Büstenhalter, die eine Brust, auf der noch sein brutaler Biß brannte, entblößt. Der Nylonslip mit dem Spitzenbesatz - »Hey, da hast du dir aber was Schickes zugelegt«, hatte Rita lachend gesagt. »Du bist wohl auf der Suche nach einem, der was für hübsche Verpackung übrig hat?« - hing an ihrem linken Fuß, ein Stoffetzen von ihrem Rock lag über ihrem Hals.
Ihr Blick war nach oben gerichtet und irrte über die Risse in der Decke. Irgendwo im Haus war ein metallisches Knacken und Klirren zu hören, dem ein gleichmäßiges, leises Summen folgte. Der Boiler, dachte sie. Es wunderte sie, daß er heizte; sie konnte sich nicht erinnern, an diesem Tag Wasser verbraucht zu haben. Sie ging Schritt für Schritt alles durch, was sie im Pfarrhaus getan hatte, weil es so wichtig schien zu wissen, warum der Boiler gerade jetzt das Wasser aufheizte. Er konnte schließlich nicht wissen, wie dreckig sie sich fühlte. Er war ja nur eine Maschine. Maschinen konnten die Bedürfnisse eines menschlichen Körpers nicht voraussehen.
In Gedanken machte sie eine Liste. Zuerst die Zeitungen.
Sie hatte sie gebündelt, wie sie sich das vorgenommen hatte, und zum Müll hinausgetragen. Dann hatte sie telefonisch das Abonnement gekündigt. Als nächstes die Topfpflanzen. Es waren nur vier, aber sie sahen traurig aus, und eine hatte fast alle ihre Blätter verloren. Sie hatte sie regelmäßig gegossen und konnte nicht verstehen, wieso sie alle gelb wurden. Sie hatte sie hinausgetragen und auf die Veranda gestellt; vielleicht, dachte sie, brauchten die armen Dinger ein bißchen Sonne, aber die Sonne war gar nicht herausgekommen. Danach die Bettwäsche. Sie hatte bei allen drei Betten - zwei Einzelbetten, ein Doppelbett - Laken und Bezüge gewechselt, so wie sie das jede Woche getan hatte, seit sie hier zu arbeiten angefangen hatte. Es spielte keine Rolle, daß die Betten nie benutzt wurden. Man mußte die Wäsche regelmäßig wechseln. Aber gewaschen hatte sie nicht, also konnte sich der Boiler auch nicht deshalb eingeschaltet haben. Weshalb dann?
Sie versuchte, sich alles, was sie an diesem Tag getan hatte, vor Augen zu führen. Sie versuchte, die Bilder an der Decke erscheinen zu lassen. Zeitungen. Telefon. Pflanzen auf die Veranda. Und danach. Es war zu anstrengend, über die Pflanzen hinauszudenken. Warum? Hatte es mit Wasser zu tun? Hatte sie Angst vor Wasser? War irgend etwas mit Wasser geschehen? Nein, wie albern. Denke an Räume mit Wasser.
Sie erinnerte sich. Sie lächelte, aber es tat ihr weh, weil ihre Haut sich so starr anfühlte, als wäre Kleber darauf erhärtet, deshalb eilte sie in Gedanken von den Schlafzimmern in die Küche. Denn das war es ja. Sie hatte das ganze Geschirr gespült, die Gläser, die Töpfe und die Pfannen. Und sie hatte die Schränke innen ausgewischt. Deshalb war der Boiler jetzt angesprungen. Außerdem arbeitete so ein Boiler doch immer. Schaltete er sich nicht von selbst ein, wenn das Wasser abzukühlen begann? Niemand brauchte ihn anzuwerfen. Er legte einfach los. Wie von Zauberhand.
Zauber. Das Buch. Nein. Weg mit diesen Gedanken. Sie beschworen Alpträume herauf. Sie wollte diese Bilder nicht.
Die Küche, die Küche, dachte sie. Sie spülte das Geschirr, wischte die Schränke aus und ging weiter ins Wohnzimmer, das schon klinisch sauber und ordentlich war, aber sie polierte trotzdem die Möbel, weil sie es aus irgendeinem Grund nicht fertigbrachte, dieses Haus zu verlassen, zu gehen, sich etwas anderes zu suchen, und dann war er bei ihr. Und mit seinem Gesicht stimmte etwas nicht. Sein Rücken schien zu steif zu sein. Seine Arme hingen nicht locker herab, sie warteten nur.
Polly wälzte sich auf die Seite, zog die Beine hoch und versuchte, sich zu wiegen. Schmerzen, dachte sie. Es fühlte sich an, als seien ihr die Beine aus dem Körper gerissen worden. Unerträgliche Schmerzen durchzuckten ihren Unterleib. Sie glaubte von innen zu verbrennen. Sie fühlte sich leer. Sie war nichts.
Allmählich begann sie die Kälte wahrzunehmen, ein dünner Luftstrom, der stetig über ihre bloße Haut zog. Sie fröstelte. Sie sah, daß er die innere Tür offengelassen hatte und daß die äußere Tür nicht richtig geschlossen war. Ihre Finger zupften ziellos am Pullover, sie wollte ihn zum Schutz gegen die Kälte herunterziehen, aber sie hatte ihn erst knapp über ihren Busen gezogen, als sie aufgab. Die Wolle scheuerte auf ihrer Haut.
Von
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